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werden. Dieses Präsentationsrecht steht zu: a) eini-
gen Stiftern, b) den Verbänden der mit Ritter-
gütern ansässigen Grafen, den Verbänden des
alten und befestigten Grundbesitzes, den Landes-
universitäten und denjenigen Städten, welchen der
König dieses Recht besonders verleiht. In Sachsen
ist die Erste Kammer fast in allem ein Abbild der
alten Stände. Wir finden dort Prälaten, Grafen
und Herren, dann 22 Rittergutsbesitzer und Ver-
treter von 8 Städten und 5 vom König ernannte
Mitglieder. Ferner beruht das Wahlsystem für
die in Preußen bestehenden Kreistage auf einer
ständischen Unterscheidung: da gibt es einen Wahl-
verband des Großgrundbesitzes, einen der Land-
gemeinden und des Kleingrundbesitzes und einen
Wahlverband der Städte. Da die Wahlen zu den
Provinziallandtagen in Preußen durch
die Kreistage und in den Stadtkreisen durch die
vereinigten städtischen Kolleglen vorgenommen
werden und diese Wahlkörperschaften auf ständi-
scher Gliederung bzw. auf Interessengruppen be-
ruhen, so zeigt sich mittelbar diese ständische Glie-
derung auch in der Zusammensetzung der Pro-
vinziallandtage.
Auch in Österreich beruht die Zusammen-
setzung der Landtage der einzelnen Kronländer
auf einer Gliederung nach Ständen oder Inter-
essengruppen; die Landtage bestehen nämlich aus
Mitgliedern mit Virilstimmrecht, aus Vertretern
der Städte, der Handels= und Gewerbekammern
und der Landgemeinden. Die Virilstimmberech=
tigten sind an Stelle der Prälaten-, der Herren-
und der Ritterkurie getreten. Diese Virilstimm=
berechtigten sind die Erzbischöfe und Bischöfe und
die Rektoren der Universitäten und einzelne Abte
und Pröpste. An Stelle der Herren und Ritter-
kurie ist der Großgrundbesitz getreten.
Auch auf privatrechtlichem Gebiet zeigt
sich vielfach noch heute die Bedeutung der ständi-
schen Gliederung. So ist z. B. ein solches inneres
Ständerecht, das durch die Geburt erworben wird
und im Bereich seiner Geltung innerhalb des be-
treffenden Standes selbständig wirkt, das sog.
Privatfürstenrecht des hohen Adels (vgl. d. Art.
Fürst Bd II, Sp. 365 ff). Ferner erwies es sich
als notwendig, die Rechtsverhältnisse einzelner Be-
rufsstände besonders zu ordnen. Hierher gehört
das für den Handelsstand geltende Handelsrecht
und das für Gewerbetreibende geltende Gewerbe-
recht. Ein ständischer Unterschied auf privatrecht-
lichem Gebiet muß also unbedingt anerkannt wer-
den; der Grundsatz der Gleichheit aller Staats-
bürger vor dem Gesetz kann nur heißen, daß
keinem Stand als solchem bzw. dessen Angehörigen
besondere politische Vorrechte eingeräumt werden
ollen.
V. Stand und Klasse im heutigen Skaat.
1. Begriff. Eine Begriffsbestimmung ist darum
so schwer, weil wir, wenigstens was die Klassen-
bildung anlangt, nicht vor einer abgeschlossenen
Entwicklung stehen. In solchem Fall wird es sich
Stände.
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empfehlen, zunächst den Sprachgebrauch zu Rate
zu ziehen. Dabei wird man allerdings im Auge
behalten, daß der Sprachgebrauch oft als guter
Wegweiser, nicht selten aber auch als irreführend
sich darstellt, daß demgemäß der Sprachgebrauch
zur Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnis
vorsichtig zu verwerten ist, daß aber das wissen-
schaftliche Interesse selbst in letzter Linie entscheiden
muß. Wir reden von einer Klasse der kapitalisti-
schen Unternehmer, der Junker, der Bourgeeisie,
von der Klasse der Reichen, anderseits von der
Klasse des Proletariats, von der Klasse der Armen,
von Klassenkämpfen usw. Wir reden von dem
ehemals reich privilegierten Stand des Adels und
der Geistlichkeit; wir wissen, daß in den ständi-
schen Verfassungen Geistlichkeit, Adel, Bürger= und
Bauernstand entsprechend ihrer Bedeutung als
Lehrstand, Wehrstand und Nährstand zu der ihnen
gebührenden sozialen und politischen Geltung ge-
langten; daß deren Bedeutung in einem besondern
Standesrecht Ausdruck fand und daß in diesen
Kreisen die Standesehre — eine starke, schützende
Macht und ein eng zusammenschließendes Band —
hochgehalten ward. Wir wissen auch, daß die
moderne Zeit „antiständischen“ Geistes ist und
daß es ihr gelang, die ständische Verfassung zu
zertrümmern. Gehen wir von diesen. Beispielen
aus und fragen wir: Läßt sich daraus ein brauch-
barer Begriff von Stand und Klasse ableiten?
Danach würde die Klasse als eine sozial bedeu-
tende Gruppe, als eine Gesamtheit von wirtschaft-
lich Tätigen erscheinen, die dieselbe Art von Ein-
kommen beziehen (Gide) oder durch gleiche oder
ähnliche Besitzgröße oder Besitzart (Schmoller,
Opverbergh), überdies aber durch das Bewußtsein
gemeinsamer Interessen und Ziele verbunden sind.
Die Gleichartigkeit dieser heutzutage übermäch--
tigen materiellen Interessen leistet der Tendenz
Vorschub, die nationalen Schranken zu durch-
brechen. Dies ist der Fall ebenso beim Lohn-
arbeiter, der auf seiner Hände Kraft und Arbeit
sich verwiesen sieht, wie beim kapitalistischen Unter-
nehmer, der im Besitz der Produktionsmittel sich
befindet. Wir hätten so im wesentlichen drei große
Hauptklassen im modernen Staat: die der kapi-
talistischen Unternehmer, die der Lohnarbeiter im
angedeuteten Sinn und eine zwischen beiden
stehende, unzweifelhaft vorhandene, aber schwer
definierbare mittlere Klasse, wozu insbesondere die
(selbständigen) Bauern, Handwerker und Klein-
händler zu rechnen wären. Natürlich gibt es zahl-
reiche Unterklassen, die in der Regel auf der Ver-
schiedenheit der Art des Eigentums beruhen
(Overbergh). Der Stand dagegen erscheint als
eine gesellschaftliche Gruppierung von Menschen
innerhalb eines Volks, die vereinigt sind und sich
vereinigt fühlen weniger, vielfach überhaupt nicht
oder jedenfalls nicht bloß durch das Band wirt-
schaftlicher Interessen und Tatsachen, sondern durch
die gleiche oder ähnliche Lebensweise und Lebens-
haltung, durch gleiche oder ähnliche Sitten, die