Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Die Russen proklamierten ihre Grundsätze, im wesentlichen Kerenstis 
Programm, das seinerzeit die Demokratien aller Länder aufgeregt hatte: 
Keine Annexionen und keine Kriegsentschädigungen. Das Selbstbestim- 
mungsrecht wurde allen Nationen zugesprochen, und zwar nicht nur den 
Völkerschaften, die in diesem Kriege ihre Selbständigkeit verloren hatten, 
sondern auch den verschiedenen Nationalitäten, die vor dem Kriege inner- 
halb der großen Staatenverbände keine Selbständigkeit besaßen. Die Russen 
gingen so weit, die Anwendung dieses Grundsatzes auch für die Kolonien 
zu verlangen. 
In unserer Antwort erklärten wir unsere grundsätzlichet Zustimmung zu 
dem Programm: Keine Annexionen und keine Entschädigungen. Wir be- 
kundeten unsere Absicht, die politische Selbständigkeit der Völker wieder- 
herzustellen, die sie im Kriege eingebüßt hatten. 
Aber wir lehnten das Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten inner- 
halb der großen Staatenverbände ab: „Die staatliche Zugehörigkeit natio- 
naler Gruppen, die keine staatliche Selbständigkeit besitzen, könne nicht 
zwischenstaatlich geregelt werden, sondern sei von jedem Staat mit seinen 
Völkern selbständig auf verfassungsmäßigem Wege zu lösen.“? 
Der Forderung nach der Selbstbestimmung unserer Kolonien wider- 
sprachen wir mit dem Hinweis: Die in Not und Tod bewährte Treue der 
eingeborenen Bevölkerung gegen Deutschland sei ein Zeugnis, das an Ernst 
und Gewicht jede mögliche Willenskundgebung durch Abstimmung über- 
trifft. 
Die deutsche Delegation knüpfte an die Anerkennung dieser Drinzipien 
eine Bedingung: Die Alliierten müßten sich innerhalb einer angegebenen 
Frist rückhaltlos zu genauesten, alle Völker in gleicher Weise bindenden 
Bedingungen verpflichten. 
Die russische Delegation war im wesentlichen von dieser Erklärung be- 
friedigt: Trotz Meinungsverschiedenheiten über Einzelheiten erkenne sie die 
enorme Bedeutung dieses Schrittes auf dem Wege zum allgemeinen Frie- 
den an. Sie sehe die Grundlage gegeben, um mit allen kriegführenden 
Mächten sofort zu Verhandlungen zu schreiten. 
1 Trotzdem wurde vereinbart: „Die verbündeten Mächte hätten mehrfach die 
Möglichkeit eines wechselseitigen Verzichtes auf Ersatz sowohl von Kriegskosten 
als auch von Kriegsschäden betont. Hiernach würden von jeder kriegführenden 
Macht nur die Aufwendungen für ihre in Kriegsgefangenschaft geratenen Ange- 
hörigen sowie die im eigenen Gebiet durch völkerrechtswidrige Gewaltakte den Zivil. 
angehörigen des Gegners zugefügten Schäden zu ersetzen sein.“ (Helfferich, a. a. O., 
S. 265f.) 
: Ebenda S. 265. 
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