mußten ferner wissen, wann voraussichtlich die Kampagne dieses Jahres
enden wird, oder wenigstens, wann die Großangriffe wohl aufhören
würden. Und schließlich sollten wir schon jetzt der Situation ins Auge sehen,
daß wir allein sein werden, d. h. Osterreich und die Türkei uns verlassen
haben, Numänien bei unseren Feinden ist, eine neue Südfront sich bildet
und unserem Kriege das Ol ausgeht.
Der General Ludendorff kam am 17. Oktober früh zu mir und schilderte
die augenblickliche Lage an der Westfront ähnlich wie der Oberst v. Haeften.
Trot der einstürzenden Flanderfront, dem unmittelbar drohenden Fall
von Dille fürchtete er keine militärische Katastrophe, sondern glaubte einen
geordneten Rückzug durchführen zu können. Ich unterrichtete ihn über
die Entscheidung des Kaisers. Er brauste auf: das sei ein Mißtrauens-
votum. Ich bestritt das. Die Befragung anderer Heerführer werde nicht
nur vom Kaiser verlangt, sondern sei der allgemeine Wunsch der Be-
völkerung und eigentlich in unserer Lage selbstverständlich. Der General
blieb bei seiner Meinung und drohte mit seinem und des Feldmarschalls
sofortigen Rücktritt. Ich versammelte das Kriegskabinett! noch vor der
großen Sitzung, in der Ludendorff sprechen sollte, machte Mitteilung von
der ablehnenden Haltung des Generals und stellte die Frage, ob wir die
Demission der Heerführer verantworten könnten.
Die Herren waren alle empört über die an uns gestellte Zumutung, in
dieser Situation das Schicksal Deutschlands auf den richtigen Blick von
zwei Augen zu stellen. Ein Staatssekretär erinnerte daran, daß es ein
Kriegsrat gewesen war, der die Entlassung Falkenhayns und die Berufung
Hindenburgs beschlossen hatte. Solf berichtete, wie der Abgeordnete
Mießer heute zu ungewöhnlich früher Stunde bei ihm erschienen sei und
ihm gesagt habe: das Vertrauen der Nationalliberalen Dartei zu dem
General Ludendorff sei so erschüttert, daß sie erwarte, die Regierung
werde sich bei ihren Entschlüssen nicht nur auf Ludendorff und Hinden-
burg stützen. Aber keiner meiner Mitarbeiter wollte dazu raten, die
Demission der Obersten Heeresleitung hervorzurufen. Die ARegierung
würde sich dem Vorwurf aussetzen, in dieser Kriegslage Deutschland um
die beiden ersten Feldherren gebracht zu haben. Graf Roedern meinte,
ob es nicht denkbar sei, daß der Kaiser den Generalfeldmarschall bewege,
das große Opfer zu bringen, auch ohne den General Ludendorff zu
bleiben. Schließlich fand Payer Zustimmung mit der Formel: Sage
HLudendorff, daß wir nicht jede Bedingung anzunehmen brauchen, so würde
er keinen Wert mehr auf die Vernehmung anderer Heerführer legen. Wenn
1 Sitzung des engeren Kabinetts vom 17. Oktober, Amtliche Urkunden Nr. 55.
Prinz Max von Baden 27 417