Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

könnten; unsere Note müßte der Prüfstein werden, ob Wilson es ehrlich 
meinte oder nicht. 
Nachdem General Ludendorff und Oberst Heye die Sitzung verlassen 
batten, bat ich meine Mitarbeiter, sich zu äußern, ob sie nunmehr für not- 
wendig hielten, die anderen Heerführer vor Absendung unserer Note an- 
zuhören oder ob sie damit bis nach dem Eintreffen der Antwort Wilsons 
warten wollten. Die Herren erklärten einstimmig, daß sie im gegenwärtigen 
Augenblick sich mit dem Gutachten des Generals Ludendorff begnügen 
würden. 
So endeten die Besprechungen anscheinend in einer großen, sachlichen 
Tbereinstimmung. Auch in der Offentlichkeit schienen wieder Brücken von 
links nach rechts zu führen, nachdem der erste Choc über die zweite Wilson- 
Note überwunden war. Der Aufruf des sozialdemokratischen Partei- 
vorstandes, der am nächsten Morgen erschien, bestärkte mich in der Hoff. 
mung, das Land werde mit der Regierung gehen: 
„Jetzt ist die Lage unseres Landes bitter ernst. Die Südostfront ist zusammen- 
gebrochen und an der Westfront stürmen die Massenheere der Entente, der die 
Menschen und Wirtschaftskräfte von drei Weltteilen zur Verfügung stehen, mit 
furchtbarem #bergewicht an Menschen und Material gegen unsere Truppen an. 
Oeutschland und das deutsche Volk ist in Gefahr, das Opfer der Eroberungs- 
sucht englisch französischer Chauvinisten und Eroberungspolitiker zu werden. 
Was wir am 4. August 1914 erklärt haben: „In der Stunde der Gefahr lassen 
wir unser Vaterland nicht im Stich“ gilt heute in verstärktem Maße. Mit einem 
Frieden der Vergewaltigung, der Demütigung und der Verletzung seiner Lebens- 
interessen wird sich das deutsche Volk nie und nimmer abfinden.“. 
Der Schluß der Kundgebung wurde leider durch die Verdächtigung ent- 
stellt: der Großgrundbesicz bielte Lebensmittel zurück — ein ungerechter 
Vorwurs, der in diesem Augenblick eine bedauerliche Störung des Burg- 
friedens bedeutete. Der Agrarier v. Waldow hatte sich in der Not auch 
dieser Regierung zur Verfügung gestellt und tat als Staatssekretär des 
Reichsernährungsamts alles, um aus dem Großgrundbesitz die Höchst. 
leistung für die Volksernährung herauszuholen. 
Auch die DPolemik der Rechten zeigte Schönheitsfehler; die Schweige- 
pflicht wurde der Regierung nicht leicht gemacht; immer wieder hieß es 
in der Presse der Vaterlandspartei: die Majorität habe den Bittgang 
an Wilson veranlaßt — aber diese Gehässigkeiten waren schließlich nichts 
weiter als noch nicht verheilte Narben eines jahrelangen giftigen Partei- 
kampfes, der hoffentlich hinter uns lag. Es war wohltuend, in diesen Tagen 
1 „Vorwärts“ vom 18. Oktober 1918. 
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