Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Siebentes Kapitel 
Die Reichstagssitzungen vom 22. bis 24. Oktober 1918 
Am 21. Oktober empfing der Kaiser die Staatssekretäre im Schloß 
Bellevue. Ich stellte ihm die Herren einzeln vor, und es war wohl keiner, 
der sich der spontanen Liebenswürdigkeit seines Wesens entziehen konnte. 
Er verlas eindrucksvoll die folgende Ansprache: 
„Meine Herren! Ich heiße Sie in Ihren neuen Amtern willkommen, in die 
Sie als die Vertrauensmänner des Volkes berufen sind. Mit Meinem Erlaß 
vom 30. September, auf Grund dessen Ihre Ernennung erfolgk ist, habe Ich den 
entscheidenden Schrict getan, der das deutsche Bolk in neue Verfassungszustände 
binüberführt. In den furchtbaren Stürmen des Weltkrieges ist uns die Aufgabe 
gestellt worden, den Bau des Reiches im Innern durch neue und breitere Grund. 
lagen zu sichern. Die Erschütterungen des Krieges haben uns erkennen lassen, 
wo die Stützen des uns alle schirmenden Hauses schwach und veraltet sind, wo 
sie der Erneuerung bedürfen. Sie haben uns aber auch die frischen quellenden 
Kräfte zur Anschauung gebracht, die in unserem Volke zum Licht streben. AUn- 
auslöschlich stehen Mir die Eindrücke der ersten Kriegstage vor dem Gedächtnis, 
und nur noch tiefer haben sie sich Mir eingeprägt in diesen Jahren des Kampfes, 
in denen unser Volk eine wahrhaft erhabene Größe bewiesen hat, sich wehrend 
gegen eine immer drückendere #bermacht, arbeitend unter immer schwereren 
Bedingungen, leidend in immer härterer Not. Ein Wolk, das so heldenhaft ge- 
kämpft, so Ubermenschliches geleistet hat, steht für alle Zeit in Ehren da. All 
dies ist Mir tief ins Herz geschrieben, und erneut lege Ich davon heute Zeugnis ab. 
In einer Neihe von Kundgebungen habe Ich Meinen Entschluß bekräftigt, 
daß der neuen Zeit eine neue Ordnung entsprechen soll. In umfassender Weise 
soll das deutsche Volk berufen sein, an der Gestaltung seiner Geschicke mitzuwirken, 
an politischer Freiheit keinem Volk der Erde nachstehend, an innerer Tüchtigkeit 
und fester Staatsgesinnung keinen Bergleich scheuend. 
Sie, Meine Herren, haben die Aufgabe, Deutschland mit hinüberzuführen in 
die neuen Zustände. Ich weiß, daß keiner unter Ihnen ist, der sich nicht der Größe 
dieser Aufgabe und seiner ungeheuren Verantwortung bewußt wäre. Mir 
aber liegt es am Herzen, Ihnen in dieser Stunde auszusprechen, daß es Mein 
fester Wille ist, zu Meinem Teil alles daran zu setzen, um mit Ihnen und der 
Volksvertretung die in dem Erlaß vom 30. September gewiesenen Ziele zu er- 
reichen. Mit Ihnen, Meine Herren, die Ich heute zum ersten Male als Meine 
Mitarbeiter begrüße, weiß Ich Mich eins in dem heiligen Willen, das Deutsche 
Reich aus der Not dieser Zeit zu einer ruhigen und friedlichen Entwicklung 
zurückzuführen. Ich hoffe, daß es uns, durch heiße Vaterlandsliebe und das Ge- 
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