Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

in der Staatsmaschine durchsetzen, sondern auch passiven Widerstand 
überwinden können. Noch war des Kaisers Autorität unvermindert in 
Heer und Verwaltung kraft einer übermächtigen Tradition der Ge- 
fügigkeit. Die wenigen Wochen der Zusammenarbeit hatten mir eine 
doppelte Gewißheit gegeben: der Kaiser bemüht sich, ein loyaler Mit- 
arbeiter des Kabinetts zu sein; und ich vermag kraft meiner persönlichen 
und verwandtschaftlichen Stellung die Nebel von Anwahrheit zu durch- 
brechen, die ihn seit Jahrzehnten umgaben und daran verhinderten, seine 
großen Fähigkeiten auf dem Boden der Wirklichkeit zu betätigen. 
Seine Majestät bestimmte als Nachfolger des Generals Ludendorff 
den General Gröner. Die Regierung war unbeteiligt an der Ernennung. 
Maßgebend für die Berufung dieses hervorragenden Offiziers war wohl 
seine einzigartige Kenntnis des Eisenbahnwesens, die für die Durchführung 
eines strategischen Rückzugs wie einer vereinbarten Räumung von be- 
sonderer Bedeutung werden konnte. 
Die Bevölkerung wurde durch den Wechsel in der Obersten Heeresleitung 
merkwürdig wenig getroffen, aber es war in dieser Zeit Überhaupt schwer, 
vorauszusehen, was die Offentlichkeit erregte und was sie kalt lassen würde. 
Die Nachrichten über den sich festigenden Widerstand an der Westfront 
fanden nicht die gebührende Beachtung, ebensowenig wie die Hiobsbot. 
schaften, die aus Osterreich und der Türkei eintrafen und darauf vorbereiten 
mußten, daß die Loslösung von dem Bündnis nur eine Frage von Tagen 
war. Die Menschen hatten den berblick über die gesamte Situation ver- 
loren und jagten immer neuen Einfällen nach. 
Am 27. Oktober stand die Zwangsvorstellung in der Offentlichkeit 
drohend und unausweichlich: wenn der Kaiser abdankt, bekommen wir 
einen guten Waffenstillstand. Jede denkbare Einwirkung auf die Dresse 
war versucht worden. Die Legationsräte Ferdinand v. Stumm und 
Schmidthals hatten in der Pressekonferenz erklärt, es wäre ein Zeichen 
von Felonie und Bedientenseele, wenn dasselbe Volk, das im Frieden 
dauernd dem Kaiser zugejubelt hätte, jetzt von ihm abfiele. 
Die sozialdemokratischen Blätter hatten sich beherrscht; aber seit die 
„Frankfurter Zeitung“ ausgebrochen war, gab es kein Halten mehr; wie 
durfte der „Vorwärts"“ regierungsfrommer erscheinen als das bürger- 
liche Blatt.1 
1 Die „Frankfurter Zeitung“ hatte am 25. Oktober geschrieben: „Wilsons Worte 
sind zwar nicht vollkommen eindeutig. Aber wenn sie einen Sinn haben, so kann es 
doch nur der sein, daß die im ersten Teil der Note gekennzeichneten Bedingungen 
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