Er wandte sich an Scheidemann und forderte für die nationale Ver-
teidigung die Mitarbeit der Sozialdemokraten, da alles darauf ankäme,
neue Kräfte der Freiwilligkeit bei den Massen zu erwecken: „Pflicht
der neuen Männer ist es, auf die Leute an der Front einzuwirken. Das
ist es, was die Heeresleitung glaubt von der Sozialdemokratie erwarten
zu können.“ Scheidemann erwiderte: „Ich trat eben deshalb in diesen Kreis
ein.“
Die Generale hatten überzeugend gesprochen. Haußmann resümierte
in ihrer Gegenwart. Die Kernfrage sei: wie können wir unsere Wider-
standskraft taktisch und praktisch ausnützen, damit wir bessere Be-
dingungen bekommen. Nach den Ausführungen der beiden Generale be-
steht doch Hoffnung, daß wir unsere Front halten und den Rückzug gut
ausführen können. Wir sind einig, in diesem Winter müssen wir ab-
schließen; nur darf das nicht jeczt in dem Augenblick geschehen, wo der
Gegner übermütig geworden ist und glaubt, uns alle Bedingungen auf-
erlegen zu können.
Auch Scheidemann sah ein, daß noch eine ganze Zeit gekämpft werden
müsse. Von einem Aufruf an das Volk wollte er sich freilich in mate-
rieller Hinsicht keinen großen Erfolg versprechen: die moralische Wirkung
stritt er nicht ab, aber er erklärte die Qualität des noch verfügbaren Mann-
schaftsersatzes für minderwertig. Es handle sich meist um Leute aus den
Fabriken, die schon einmal draußen waren und die durch einen Aufruf nicht
begeistert werden könnten. Das Schlimmste sei der Niederbruch Osterreichs.
Sei in dieser Lage ein weiterer Kampf nicht aussichtslos? Natürlich könnten
wir uns nicht auf Gnade und Angnade ergeben. Aber wenn es gelänge, auf
Grund der Verhandlungen mit Wilson zum Frieden zu kommen, dann
müßten wohl auch die Heerführer zufrieden sein.
Die Generale v. Gallwitz und v. Mudra verließen die Sitzung mit
„bangen Zweifeln“. Sie hatten aus Scheidemanns Worten den resignierten
Ton richtig berausgehört. Gallwiß ließ durch den Staatssekretär Solf
noch mitteilen: „Er habe den österreichischen Abfall vorhin zu schwarz ein-
geschätzt, da er im Augenblick übersehen habe, daß wir im Osten und Süd-
osten noch mehrere Armeen steben hätten. Er sähe deswegen die Lage
nicht mehr für so schwarz an.“
Ehe der General v. Gallwiß an die Front zurückreiste, soll ihm — so
ist mir später erzählt worden — von einflußreicher Seite nahegelegt wor-
den sein, er möchte die Diktatur übernehmen. Der General habe den Ge-
danken von sich gewiesen. Verantwortungsscheu kann ihn wahrlich nicht
zurückgehalten haben. Ich glaube, ihn leitete das richtige Gefühl: ein Dik-
tator kann in unserer Situation niemals die Massen zu der freudigen Gefolg-
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