Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Am 2. November hatte Osterreich die Waffenstillstandsbedingungen 
der Feinde angenommen. Eins war klar: die italienisch-österreichische 
Grenze, wie der Waffenstillstand sie zog, sollte ein Hräjudiz für den Frie- 
den schaffen, und sie folgte nicht den ethnographischen Tatsachen, wie die 
14 Punkte das forderten, sondern den strategischen Bedürfnissen Italiens, 
die zu erfüllen der Londoner Vertrag versprochen hatte. And Osterreich 
wurde aller Machtmittel beraubt, so daß es bei den Friedensverhandlungen 
wehrlos sein würde: 
Die Blockade wurde aufrechterhalten; die Wehrmacht auf 20 Divisionen 
Friedensstärke beschränkt; das Artilleriematerial war zur Hälfte auszu- 
liefern, ebenso sämtliche U. Boote; die Flotte entweder auszuliefern oder 
abzurüsten. 
Das Furchtbarste aber war: Osterreich--Angarn war gezwungen worden, 
Partei gegen Deutschland zu ergreifen. Die Verbündeten konnten nach 
Gutdünken strategische Punkte besetzen. Sie hatten für ihre Truppen auf 
allen Straßen, Eisenbahnen und Wasserwegen volle Bewegungsfreiheit. 
Fünfzehn Tage wurden den deutschen Truppen bewilligt, um das Gebiet 
der Bundesgenossen zu verlassen. Nach dieser Frist war Osterreich-Ungarn 
verpflichtet, die deutschen Soldaten zu internieren, die noch auf seinem 
Gebiet waren. 
Die Erbärmlichkeit des Abfalls, so sagten die Meldungen, wurde überall 
in Osterreich empfunden. Andrassys Schritt, unternommen, um die Donau- 
monarchie zu retten, gab das Signal zu ihrer Auflösung; die Dinge trieben 
allerorts zum republikanischen Nationalismus. In Krakau, bei den 
Böhmen, bei den Südslawen wurden Anabhängigkeiten proklamiert, die 
Feiern aber vielfach durch Soldatenräte gestört. Angarn hatte sich am 
1. November als neutraler Staat erklärt. Tatsächlich war Angarn unter 
Karolvi unser Feind, wie schon seine ersten Handlungen bewiesen: die 
ungarischen Soldaten wurden von der Front eigenmächtig zurückbeordert, 
Ladungen von Getreide, Erz und rumänischem Ol, die für Deutschland 
und Deutsch-Osterreich bestimmt waren, auf der Donau angehalten. 
In Oeutsch-Osterreich gab es jetzt auch eine „nationale Regierung“, 
einen Staatsrat, der von der Nationalversammlung am 30. Oktober ge- 
wählt worden war. Bestimmenden Einfluß hatte darin der Sozialdemokrat 
Viktor Adler; Graf Botho Wedel nannte ihn in seinen Berichten einen 
deutschen Patrioten und feinen politischen Kopf. 
Das Oiquidationsministerium Lammasch-Andrassy ließ man noch nicht 
verschwinden. Man gönnte ihm und dem Kaiser, daß ihre Anterschriften 
noch unter dem Waffenstillstand standen. Die „Arbeiterzeitung“ sprach von 
dem „schmugzigen, elenden Ende des alten Österreich“. 
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