Unter diesem verächtlichen Ausklang wichen die moralischen Bedenken,
die der Anschlußbewegung entgegenstanden. Der Ruf: „Heimkehr nach
Deutschland“ bewegte die Menschen mit einer neuen und lindernden Kraft.
Es war, als ob aus der Tiefe gemeinsamer Geschichte eine vergessene Sehn-
sucht hervorbrach.
Nur die Christlich-Sozialen ließen sich nicht mitreißen. Trotzdem war
es nahe daran, daß eine offizielle Kundgebung des Staatsrats für den
Anschluß zustande kam. Graf Wedel berichtete über eine realpolitische
Erwägung, die im letzten Augenblick retardierend wirkte und die Parole:
„Deutsch-Osterreich Republik“ in den Vordergrund schob:
Die naturnotwendige Entwicklung führe zum Anschluß an das Deutsche
Reich. Wenn ODeutsch--Osterreich aber schon bei Friedensschluß mit diesem
Hlan hervortrete, so befürchte man gerade auch in den Alpenländern:
das Deutsche Reich werde nicht stark genug sein, um gegenüber den
italienischen Ansprüchen die Anversehrtheit des Tiroler Gebietes zu
retten. Man glaube, eine stärkere Position zu haben, wenn Deutsch-
Osterreich sich eine Staatsform schaffte, welche dem Ideenkreis des Prä-
sidenten Wilson entsprechen würde.
Der Staatsrat hatte keine Gelegenheit versäumt, um gegen den Treu-
bruch zu demonstrieren und seiner deutschen Gesinnung überzeugenden Aus-
druck zu verleihen. Auch die Bildung einer eigenen deutsch-österreichischen
Armee war beschlossen worden. Aber heute erklärt die neue Regierung der
Wahrheit entsprechend: Deutsch-Osterreich sei außerstande, an Deutschlands
Seite den Kampf fortzusetzen, denn seinem Truppenkörper seien Verbände
zugeteilt, deren slawisch-magyarische Mehrheit nicht mehr kämpfen wolle.
So war also Osterreich unwiderruflich Aufmarschgebiet unserer Feinde
geworden und damit das Ereignis eingetreten, das Gallwig in der Sitzung
vom 28. Oktober einen Augenblick als entscheidend anzusehen geneigt war.
Schon wurde es deutlich, daß die seinem Gutachten nachgesandte be-
ruhigende Ergänzung: Wir haben ja noch mehrere Armeen im Osten und
Südosten, das hatte ich übersehen, keine reale Grundlage mehr hatte:
Ich hatte den General Gröner um präzise Auskunft gebeten, wo außer-
halb des westlichen Kriegsschauplatzes und Deutschlands noch deutsche Trup-
pen stünden und wie die Oberste Heeresleitung über sie zu verfügen gedächte.
Die Antwort lag nun vor:
„Chef des Generalstabes des Feldheeres.
Großes Hauptquartier, 31. Oktober 1918.
Außerhalb des westlichen Kriegsschauplatzes und außerhalb Deutschlands be-
finden sich folgende deutsche Truppen:
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