Vierzehntes Kapitel
Der 9. November
Am Morgen des 9. November: wissen wir, daß die revolutionäre Welle
im Lande weiter steigt, offenbar unaufhaltsam. Die lokalen Nachrichten
aber scheinen zu ergeben, daß Berlin bis jegzt fest in unserer Hand ist.
Auch das Gebiet östlich Berlins ist noch ruhig. Die Eisenbahnabsperrung
der Hauptstadt ist jetzt mit Erfolg durchgeführt. „Die drei zuverlässigen
Jägerbataillone liegen eines im Schloß, eines in der Alexanderkaserne und
eines an den Brücken im Zentrum:“ Auf die drei Bataillone glaubt man
sich unbedingt verlassen zu können, besonders auf die Naumburger Jäger.
Der Kriegsminister hat noch Zutrauen. „Wir in Berlin sind jetzt wie in
einer belagerten Festung; alles kommt darauf an, daß wir Berlin halten.
Solange das gelingt, ist nichts verloren, die Armee muß uns entsetzen.“
In der Nacht haben auch die Unabhängigen zum Generalstreik auf-
gerufen. Sie nehmen die Verhaftung Däumigs zum Anlaß. Ihr Ziel ist
weit gesteckt:
„Wir fordern nicht die Abdankung einer Person, wir fordern die
Republik.“
Es steht aber fest, daß die Unabhängigen nicht viel erreichen werden,
wenn die Mehrheitssozialdemokraten die Gegenparole ausgeben können:
„Bleibt in den Betrieben.“ Noch immer hoffen Ebert und Scheidemann,
daß dies möglich sein wird, und fragen wiederholt am Telephon, ob wir
noch keine Antwort aus Spa haben. Als wir immer aufs neue verneinen,
wächstihre Angeduld von Viertelstunde zu Viertelstunde. Scheidemann sagt:
„Dann aber weiß ich wirklich nicht, wie wir die Leute noch abhalten
sollen, auf die Straße zu gehen."“
Am 9 Uhr 15 rief Staatssekretär v. Hintze aus dem Hauptgquartier
an, um uns folgende Eröffnung zu machen: Die Oberste Heeresleitung
habe sich entschlossen, sogleich Seiner Majestät zu melden,
1 An diesem Morgen hätten die Waffenstillstandsbedingungen in Berlin eintreffen
müssen. Gegen 10 Uhr meldete Solf, daß der Kurier unterwegs verunglückt sei.
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