Full text: Der Geschäftsgang im Bundesrat.

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und deren Einfluß auf die Stimmführung im Bundesrate ist 
eine Veränderung der Stimmenverteilung durch Reichsgesetz zu 
unterscheiden. Die Frage, welche Voraussetzungen hierfür durch 
die Verfassung gegeben sind, ist in der staatsrechtlichen Literatur 
verschieden beantwortet worden. Die Meinungsverschiedenheit 
hierüber beruht auf der auseinandergehenden Beurteilung des 
Rechts der Einzelstaaten auf eine oder mehrere Bundesrats- 
stimmen. Eine Anzahl Schriftsteller vertritt die Ansicht, daß 
hier ein Sonderrecht aller Bundesglieder, das ihnen ohne 
ihren Willen gemäß Art. 78 Abs. 2 Reichsverfass. nicht ent- 
zogen werden könne, vorliege; denn hier treffe die Voraus- 
setzung des genannten Artikels zu, daß nämlich bestimmte Rechte 
einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit 
festgestellt sind. Andere sind für eine Beschränkung des Begriffs 
der Sonderrechte auf einzelne Bundesstaaten. Wieder andere 
nehmen an, daß es sich bei einer Anderung des Stimmen- 
verhältnisses im Bundesrate nur um eine Verfassungsänderung 
handele, die nach Art. 78 Abs. 1 zu regeln sei, und zwar eine 
qualifizierte Mehrheit von 14 Stimmen, nicht aber die Zu- 
stimmung des fraglichen Staates erfordere. 
§ 8. Die Ausübung des Stimmrechts. 
I. „Es kann die Gesamtheit der zuständigen Stimmen 
nur einheitlich abgegeben werden.“1) Diese Bestimmung ent- 
spricht dem Charakter der Bundesratsbevollmächtigten, die nur 
ausführende Organe ihrer Absendestaaten und an die ihnen 
erteilten Instruktionen gebunden sind. So kommt in der Ab- 
stimmung im Bundesrate nicht die subjektive Ansicht des Be- 
vollmächtigten, sondern der objektive Staatswille des Einzel- 
staates zum Ausdruck. . Nicht die Vertreter selbst stimmen nach 
freier Ueberzeugung, sondern die Bundesglieder stimmen durch 
sie, sodaß, da es als unmöglich erscheint, daß ein Staat als 
einheitliche Persönlichkeit gleichzeitig zwei oder mehr sich wider- 
sprechende Willen habe,?) die Stimmen eines Staates, der 
mehrere Stimmen und mehrere Bevollmächtigte hat, auch stets 
  
1) Art. 6, Abs. 2 Reichsverfass. 
2) Laband, Staatsr. I, S. 243; ebenso Schulze, Lehrb. II, S. 50.
	        
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