Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

Jetzt nimmt der Gestrenge einen Brief und ein Paker- 
chen nach dem andern aus dem Sack und verliest die Namen. 
Mit einem lauten Hier! meldet sich sofort der Aufgerufene 
und empfängt seine Post. Es beherrscht alle eine Seannung, 
als handle es sich um die Jiehung des großen Loses. Am 
besien stelle man sich eine Lotteriebude auf dem Jahrmarkt 
oder Schützenfest vor. Großes Halloh gibt es, wenn der 
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mals hereinzuholen; der Feind erstickte jeden, aber auch 
jeden Versuch mit fürchterlichem Feuer. Und auf einen 
Toten soll man nicht zwei Lebende setzen. — — — 
Manchmal standen die Kameraden versonnen im Graben 
und spähten nach den Toten drüben aus. Wer brächte 
denen endlich wohl die wohlverdiente Grabesruhe? — 
Da trat eines Tages — es war am 6. Mai 1916 — 
  
Empfänger ein junger 
nicht *“ kecker Gefrei-= 
weiteres fest- ter vor den 
zustellen ist Führer. 
und erst aus „Herr 
dem Inhalte 
  
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oder der bole die To- 
Unterschrift ten herein.“ 
einer Karte („ — — 
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Einzelnen be- zohn Jahren, 
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auch, wenn stammend. 
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Ponsachen Jahre das 
dabei sind. Eiserne 
Das Verlesen Kreuz und 
dauert etwa galt für einen 
10 Minuten, unerschrok- 
und je mehe kenen tapfe- 
der Inhalt ren Soldaten, 
des Sackes Im Sachsenwald, der Hohenzollern ring vorbildlich 
einem Ende tapfer sogar. 
entgegengeht, desto höher wächst die Spannung. Aber Deshalb ließ ihn der Leutnant gewähren und gab ihm alle 
jeder hält bis zuletzt aus, denn das Letzte kann ja 
gerade noch für ihn bestimmt sein. Wenn das letzte Stück 
verkeilt ist, verkündet das kurze Wort „Alle!“ den Schluß 
der Ausgabe, und jetzt stürzt jeder an eine Stelle, wo er 
in Ruhe seine Karten und Briefe lesen, den Inhalt seiner 
Pakere untersuchen kann. Die aber, die nichts bekommen 
haben, gehen enttäuscht fort; sie müssen sich auf das nächste 
Mal vertrösten. 
Die Postausgabe ist der wichtigste Augenblick im Lager- 
leben des Feldsoldaten. Viel braucht es ja nicht zu sein, 
aber etwas aus der 
Heimat. 
Ulfz. Emil Fischer, 
22. Feldpion. 
Bravo, Kamerad 
Brautzsch! 
So lange Monate lag 
das 2. Ersatz-Infanterie- 
Regiment 23 nun schon 
auf der gleichen Stelle 
dem Feinde gegenüber. 
Man hatte dort bei einem 
Vorstoße im Februar 
lols einige Verluste gehabt, aber die Gefallenen nicht 
mehr zu bergen vermocht. Nun lagen sie schon über ein 
Jahr draußen in dem breiten, nach dem Feinde offenen, 
sumpfigen Wiesengelände vor dem rechten Flügel des Ba- 
taillons, ein Offizier und acht Mann der Kompagnie, 
teure, tapfere Kameraden, halb verwest. Unmöglich, sie je- 
  
guten Wünsche mit auf den Weg, den wahre Kameraden- 
treue diesen Mann ins Ungewisse gehen ließ. 
Oskar Brautzsch rückte um 10 Uhr abends mit noch zwei 
Mann von der zweiten Kompagnie los. Sie krochen unbe- 
hindert durch das Vorgelände auf die Sumpfwiese, wo die 
Toten, stark verwest, lagen und schlugen jede einzelne Leiche 
sorglich in Zeltbahnen ein. Ihrer zwei Mann trugen nun 
je einen Toten über die Wiese. Die Last war schwer und 
wenig handlich. Der Fuß sank ein bei jedem Schritt. Frei 
lag die Wiese dem Feinde. Und Wassergräben sperrten den 
Weg, einer sogar in reich- 
lich Meterbreite. Dann 
ging es den sleilen Hang 
von der eigenen Stellung 
hinauf, wie er offenes 
Ziel dem Feinde. Durch 
das Drah verhau 
Fünfmaling Brautsch 
mit seinen Getreuen den 
schweren Weg. Es war 
oft kein Gehen mehr, sie 
mußten hüpfen, kriechen, 
sich schmiegen wie die Kat- 
zen. Und der Gegner drü- 
ben ließ obendrein seine 
Leuchtraketen spielen und- 
schoß in ihrem grellen Schein auf das treue deutsche Bergungs- 
kommando. Dann hieß es obendrein noch Nieder! und 
wieder Auf! Einmal sogar, wo der Weg hart an der Stel- 
lung vorüberführte: Laufschritt, marsch — marsch! 
Den dreien triefte der Schweiß von der Stirn, wenn 
sie die Toten drinnen im Graben niederlegten, fünf mal,
	        
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