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ziehen, wie ich sonst stets getan habe. (Tat nötig, weil die
Decks alle unter Wasser gesetzt werden — der Feuersgefahr
wegen.) Also „nasse Füße“l Na, das läßt sich nun nicht
ändern. — Ich verstaue noch die wichtigsten Bücher, weil
ich denke, meine hochgelegene Kammer kriegt sicher was
ab. Dann an Oberdeck, um Ausschau zu halten. Richtig,
das schöne feindliche Geschwader in Kiellinie. Vier Schiffe:
„Good Hope“, „Monmouth“, „Glasgow“, „Otranto“. —
Wir sind bloß drei: „Scharnhorst“, „Gneisenau“, „Leip-
zig“, da „Nürnberg“ und „Dresden“ abgeschickt sind,
Segler und Dampfer anzuhalten.
Ich bin wohl etwas unruhig, achte nicht auf unsere
Schiffe, habe keine Erinnerung, was um mich her vorgeht.
Bloß weiß ich noch, daß es im Schiff riesig dunkel ist,
da Notbeleuchtung noch nicht überall brennt und beobachte,
daß das meiste planmäßig und exerziermäßig vor sich geht.
Eine fieberhafte Arbeit überall, überall ein Rennen,
Schaffen, Arbeiten, Boote werden „festgezurrt“, die Pan-
zerblenden der Seiten-
Ruf „ein feindliches Schiff brennt“ — dann „Zwei feind-
liche Schiffe brennen“. — Wie soll ich Euch beschreiben,
was einem da für Gedanken durch die Seele ziehn! Freude
und Dank, Hoffen und Sorgen, wo in einem Augenblick
all diese Empfindungen auf einmal die Seele blitzartig
durchjagen — dann mechanisch ein Blick auf die Uhr, da
alles Schätzen von Zeit unmöglich geworden. — Es war
ein großer Augenblick, eine große Stunde, so daß wir am
Abend nach der Schlacht alle ganz ruhig in der Messe
saßen. Keiner wußte viel zu sagen. Es war wie ein
Traum. Nur das spürte jeder, eine große Stunde
war gewesen, in der ung Gott gnädig behütet hat. —
Es kamen wieder ruhige Tage nach dieser siegreichen
Seeschlacht, aber auch sie brachten dem Geschwaderpfarrer
viel Arbeit. Er schreibt:
Seit.K. 11. sind wir wieder verschollen, bloß „Leipzig“
und „Dresden“ sind am 14. in Valparaiso gewesen. —
Alle Schiffe durften ja nicht auf einmal nach Val-
paraiso. —
fenster werden vorge—-
macht, und erst un-
ten im Schiff: Mu-
nition wird gemannt.
Jederist auf seinem
Posten, jeder tut seine
gewohnheitsmäßige
Mlicht, gleichmäßig und
ruhbig. Einmal sah ich
den Adjutanten, er sucht
den leitenden Inge-
nieur. Später geh auch
ich mal in die Mittel-
maschine hinunter. —
Auch da volle Ordnung
und Ruhe, noch viel
mehr wie oben, weil
hier ja nichts wegzu-
räumen, anzubringen,
anzuzünden usw. ist.
Grhipieie us een Runsisen Aumen
An Arbeit hat's die
letzte Zeit nicht gefehlt.
Sonnabend, den 14.11.
auf „Nürnberg" Vor-
trag über Körner.
Sonntag, den 15.,
Vorm. Dankgottes-
dienst und Vereidigung
Aauf,Gneisenau“. Nach-
« mittag Gottesdienst auf
L. Montag, den 16. 11.,
Vorm. auf „Scharn-
horst“ Bestattung eines
Matrosen, der am 15.
abends beim Kohlen
tödlich verunglückte.
Bußtag, den 18., „Gnei-
senau“ Gottesdienst.
Totensonntag, den 22.,
Vorm. Gottesdienst auf
Über das Gefecht
darf ich nur ganz wenig
sagen. Also 5,40 sehe
ich mir mal den Feind an, wie er stolz in Kiellinie
daherfährt, gleich darauf, nachdem ich mich nun endlich
ins Zwischendeck begeben habe, läuft durch die Melder-
kette der Ruf „Ferngefecht an Steuerbord“, ein Zeichen,
welche Seite Gefechtsseite und welche die Feuer-eeeseite
werden wird. Die Apparate messen die Entfernung zum
Feinde und dann laufen die Entfernungen durch die Melder-
kette, immer in 100 Meter gemessen. Auch das wie bei
den gewöhnlichen Ubungen, laut und deutlich weitergegeben;
120 Hundertmeter, 112 H.-M., 98 H.-M. usw.
6,36 zeigt meine Uhr, da höre ich zwei Schüsse. Wer
hat geschossen: Der Feind oder „Scharnhorst“? Gleich
drauf donnern unsere Geschütze. Spannung. — Wann
kommen die feindlichen Granaten? Wann schlägt's ein? —
Minuten werden da lang, wenn man selbst nicht durch
Arbeit abgelenkt wird. Vor Beginn des Gefechts hol'ich
Weyers Taschenbuch der Kriegsflotten, um mir dort die
feindlichen Schiffe und ihre Kanonen anzusehn. Wir sind
wohl etwas stärker. Auch die anderen Gefechtsverband-
brüder interessieren sich für die Angaben, die Arzte, der
Stabszahlmeister, der Kriegsgerichtsrat so gut wie der
Barbier und die beiden Bettkranken, die auf den Haupt-
gefechtsverbandplatz heruntergetragen sind, weil das eigent-
liche Lazarett unter der Kommandobrücke zu wenig kugel-
sicher ist. — Mündlich kann ich Euch — wills Gott —
noch viel erzählen.
Nach einigen Minuten geht durch die Melderkette der
Abgeworfen auf sächsische Truppen
„Scharnhorst“ und auf
„Nürnberg“.— In acht
Tagen sechs verschie-
dene Neden, manchmal bei schwieriger Bootofahrt.
Am 19. habe ich zum ersten Male das Bügeleisen
geschwungen. Du unsere chinesischen Waschleute von
Bord sind, wäscht der Bursche die Wäsche; gebügelt wurde
sie nicht, bis ich mir am 19. Mut faßte und ein Riesen-
eisen schwang, um eine blaue Hose, die nach dem Kohlen
gewaschen worden war, aufzubügeln. Nachdem dies ge-
lungen, hab'’ ich noch ½ Dtzd. Taschentücher und ½ Dtzd.
weiche Kragen gebügelt, ferner einige Sporthemden. Das
hättet ihr sehen sollen!
Ab und zu spiel' ich Schach, aber selten. In letzter
Zeit gab's viel Zeitungen zu lesen. „Woche“ und „Echo“
bis 1. Oktober! „Universum“ mit Artikeln von Pastor
Mühlhausen-Leipzig sehr gut! Gregory!
D Bie beneide ich Euch um das, was Ihr daheim Großes
erlebt:
„Das Volk steht auf,
Der Sturm bricht los.“
Wir lesen's jetzt mühsam nachträglich in der Zeitung, diese
große nationale Begeisterung, die Aufopferung, die Vater-
landsliebe. — Das hätt' ich sehen mögen. — Nur selten
klagte ich den anderen gegenüber, die oft diesen Gedanken
aussprachen, aber jetzt, wo ich das alles lese, ja wie klein
war da unser Leben auf unseren schwimmenden Forts. —
Und was die Armee zu viel hat — das haben wir zu wenig:
nämlich das Laufen. —