Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

72 
ziehen, wie ich sonst stets getan habe. (Tat nötig, weil die 
Decks alle unter Wasser gesetzt werden — der Feuersgefahr 
wegen.) Also „nasse Füße“l Na, das läßt sich nun nicht 
ändern. — Ich verstaue noch die wichtigsten Bücher, weil 
ich denke, meine hochgelegene Kammer kriegt sicher was 
ab. Dann an Oberdeck, um Ausschau zu halten. Richtig, 
das schöne feindliche Geschwader in Kiellinie. Vier Schiffe: 
„Good Hope“, „Monmouth“, „Glasgow“, „Otranto“. — 
Wir sind bloß drei: „Scharnhorst“, „Gneisenau“, „Leip- 
zig“, da „Nürnberg“ und „Dresden“ abgeschickt sind, 
Segler und Dampfer anzuhalten. 
Ich bin wohl etwas unruhig, achte nicht auf unsere 
Schiffe, habe keine Erinnerung, was um mich her vorgeht. 
Bloß weiß ich noch, daß es im Schiff riesig dunkel ist, 
da Notbeleuchtung noch nicht überall brennt und beobachte, 
daß das meiste planmäßig und exerziermäßig vor sich geht. 
Eine fieberhafte Arbeit überall, überall ein Rennen, 
Schaffen, Arbeiten, Boote werden „festgezurrt“, die Pan- 
zerblenden der Seiten- 
Ruf „ein feindliches Schiff brennt“ — dann „Zwei feind- 
liche Schiffe brennen“. — Wie soll ich Euch beschreiben, 
was einem da für Gedanken durch die Seele ziehn! Freude 
und Dank, Hoffen und Sorgen, wo in einem Augenblick 
all diese Empfindungen auf einmal die Seele blitzartig 
durchjagen — dann mechanisch ein Blick auf die Uhr, da 
alles Schätzen von Zeit unmöglich geworden. — Es war 
ein großer Augenblick, eine große Stunde, so daß wir am 
Abend nach der Schlacht alle ganz ruhig in der Messe 
saßen. Keiner wußte viel zu sagen. Es war wie ein 
Traum. Nur das spürte jeder, eine große Stunde 
war gewesen, in der ung Gott gnädig behütet hat. — 
Es kamen wieder ruhige Tage nach dieser siegreichen 
Seeschlacht, aber auch sie brachten dem Geschwaderpfarrer 
viel Arbeit. Er schreibt: 
Seit.K. 11. sind wir wieder verschollen, bloß „Leipzig“ 
und „Dresden“ sind am 14. in Valparaiso gewesen. — 
Alle Schiffe durften ja nicht auf einmal nach Val- 
paraiso. — 
  
fenster werden vorge—- 
macht, und erst un- 
ten im Schiff: Mu- 
nition wird gemannt. 
Jederist auf seinem 
Posten, jeder tut seine 
gewohnheitsmäßige 
Mlicht, gleichmäßig und 
ruhbig. Einmal sah ich 
den Adjutanten, er sucht 
den leitenden Inge- 
nieur. Später geh auch 
ich mal in die Mittel- 
maschine hinunter. — 
Auch da volle Ordnung 
und Ruhe, noch viel 
mehr wie oben, weil 
hier ja nichts wegzu- 
räumen, anzubringen, 
anzuzünden usw. ist. 
  
  
Grhipieie us een Runsisen Aumen 
  
An Arbeit hat's die 
letzte Zeit nicht gefehlt. 
Sonnabend, den 14.11. 
auf „Nürnberg" Vor- 
trag über Körner. 
Sonntag, den 15., 
Vorm. Dankgottes- 
dienst und Vereidigung 
Aauf,Gneisenau“. Nach- 
« mittag Gottesdienst auf 
L. Montag, den 16. 11., 
Vorm. auf „Scharn- 
horst“ Bestattung eines 
Matrosen, der am 15. 
abends beim Kohlen 
tödlich verunglückte. 
Bußtag, den 18., „Gnei- 
senau“ Gottesdienst. 
Totensonntag, den 22., 
Vorm. Gottesdienst auf 
  
  
Über das Gefecht 
darf ich nur ganz wenig 
sagen. Also 5,40 sehe 
ich mir mal den Feind an, wie er stolz in Kiellinie 
daherfährt, gleich darauf, nachdem ich mich nun endlich 
ins Zwischendeck begeben habe, läuft durch die Melder- 
kette der Ruf „Ferngefecht an Steuerbord“, ein Zeichen, 
welche Seite Gefechtsseite und welche die Feuer-eeeseite 
werden wird. Die Apparate messen die Entfernung zum 
Feinde und dann laufen die Entfernungen durch die Melder- 
kette, immer in 100 Meter gemessen. Auch das wie bei 
den gewöhnlichen Ubungen, laut und deutlich weitergegeben; 
120 Hundertmeter, 112 H.-M., 98 H.-M. usw. 
6,36 zeigt meine Uhr, da höre ich zwei Schüsse. Wer 
hat geschossen: Der Feind oder „Scharnhorst“? Gleich 
drauf donnern unsere Geschütze. Spannung. — Wann 
kommen die feindlichen Granaten? Wann schlägt's ein? — 
Minuten werden da lang, wenn man selbst nicht durch 
Arbeit abgelenkt wird. Vor Beginn des Gefechts hol'ich 
Weyers Taschenbuch der Kriegsflotten, um mir dort die 
feindlichen Schiffe und ihre Kanonen anzusehn. Wir sind 
wohl etwas stärker. Auch die anderen Gefechtsverband- 
brüder interessieren sich für die Angaben, die Arzte, der 
Stabszahlmeister, der Kriegsgerichtsrat so gut wie der 
Barbier und die beiden Bettkranken, die auf den Haupt- 
gefechtsverbandplatz heruntergetragen sind, weil das eigent- 
liche Lazarett unter der Kommandobrücke zu wenig kugel- 
sicher ist. — Mündlich kann ich Euch — wills Gott — 
noch viel erzählen. 
Nach einigen Minuten geht durch die Melderkette der 
Abgeworfen auf sächsische Truppen 
„Scharnhorst“ und auf 
„Nürnberg“.— In acht 
Tagen sechs verschie- 
dene Neden, manchmal bei schwieriger Bootofahrt. 
Am 19. habe ich zum ersten Male das Bügeleisen 
geschwungen. Du unsere chinesischen Waschleute von 
Bord sind, wäscht der Bursche die Wäsche; gebügelt wurde 
sie nicht, bis ich mir am 19. Mut faßte und ein Riesen- 
eisen schwang, um eine blaue Hose, die nach dem Kohlen 
gewaschen worden war, aufzubügeln. Nachdem dies ge- 
lungen, hab'’ ich noch ½ Dtzd. Taschentücher und ½ Dtzd. 
weiche Kragen gebügelt, ferner einige Sporthemden. Das 
hättet ihr sehen sollen! 
Ab und zu spiel' ich Schach, aber selten. In letzter 
Zeit gab's viel Zeitungen zu lesen. „Woche“ und „Echo“ 
bis 1. Oktober! „Universum“ mit Artikeln von Pastor 
Mühlhausen-Leipzig sehr gut! Gregory! 
D Bie beneide ich Euch um das, was Ihr daheim Großes 
erlebt: 
„Das Volk steht auf, 
Der Sturm bricht los.“ 
Wir lesen's jetzt mühsam nachträglich in der Zeitung, diese 
große nationale Begeisterung, die Aufopferung, die Vater- 
landsliebe. — Das hätt' ich sehen mögen. — Nur selten 
klagte ich den anderen gegenüber, die oft diesen Gedanken 
aussprachen, aber jetzt, wo ich das alles lese, ja wie klein 
war da unser Leben auf unseren schwimmenden Forts. — 
Und was die Armee zu viel hat — das haben wir zu wenig: 
nämlich das Laufen. —
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.