Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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Marinestabsarzt Dr. Claus aber schreibt: Pfarrer Rost 
war während des Gefechts auf dem Hauptverbandplatze, 
wo er mir wacker durch Handreichungen geholfen hat. 
Gegen Ende des Gefechts bekamen wir einen schweren 
Treffer in den Verbandplatz. Ich konnte noch gerade sehen, 
daß alle Leute, die in der Nähe des Einschlages gerade be- 
schäftigt waren, sofort getötet wurden, darunter war auch 
unser Pfarrer. Ich selbst wurde bewußtloc und konnte 
dann erst nach einiger Zeit feststellen, daß alles gefallen 
war . .. Doa der Raum jetzt voll Wasser lief, mußte ich 
ihn verlassen. Kurz darauf kenterte die „Gneisenau“. 
Eine Stunde in französischer Gefangenschaft 
Nach der Erzählung des Soldaten Franz Glapa, Brig. Ers. Btl. 64. 
Unsere Aufgabe war, das ungefähr zwei Stunden von 
unserem Lager Cirey feindlicherseits entfernt liegende Dorf 
Harbouey durch Patrouille vor dem Eindringen der Fran- 
zosen zu schützen 
oder Meldung zu 
erstatten, falls 
der Feind das 
Dorf besetzen 
sollte. 
Am 2. Okto= 
ber 1014 früh 
noch in der Fin- 
sternis brachen 
wir, ein Gefrei- 
ter und vier 
Mann, auf. Eine 
feuchte Kälte 
schlug uns ent- 
gegen und nur 
langsam kamen 
wir vorwärts. 
Der Morgen 
graute, doch der 
starke Nebel ließ 
die Sonnen- 
strahlen nicht zur Erde herab. Da am Tag zuvor gemeldet 
war, daß das Dorf vom Feinde frei sei, ließen wir wohl 
die sonst übliche Vorsicht etwas außer acht und marschierten 
ahnungslos direkt durch das Dorf durch, in der Absicht, 
den Auogang deoselben zu bewachen. Die Straße war fast 
leer, nur einzelnen Eimvohnern begegneten wir. Auf unsere 
Frage, ob Pieir im Orte sei, erhielten wir nur unver- 
ständliche Antworten. Ihr ganzes Gebaren jedoch ließ uns 
darauf schließen, daß nicht alles in Ordnung war, und eine 
gewisse Unruhe erfaßte uns, die bange Ahnung, die dem 
kommenden Unglück vorangeht. Zum langen Uberlegen 
sollte ung jedoch keine Jeit mehr bleiben. Kaum waren wir 
in der Nähe der Kirche, welche den Tag vorher vom Nach- 
barbataillon gesprengt worden war, als auch schon aus dem 
Hinterhalte eine Salve von ungefähr 30 Schuß durch das 
Dorf hallte. Die Franzosen, die in den Häusern versteckt 
waren, hatten uns erst an ihrem Versteck vorbeimarschieren 
lassen, und, nachdem wir in ihre Falle geraten waren, über- 
schütteten sie uns mit einem mörderischen Feuer. Die Ku- 
geln pfiffen um uns, schlugen auf die Straße und in die 
Häuser und jedes weitere Wehren hätte bei der großen 
Übermacht der Feinde und in der schlechten Lage, in der 
wir uns befanden, nur den sicheren Tod bedeutet. Einer 
von den Kameraden hatte ja bereits sein Leben hier lassen 
müssen, ein anderer war besinnungslos, während ich selbst 
zwei Wadenschüsse und einen Knöchelschuß erhielt. Um 
jedoch weitere unnütze Opfer zu sparen, mußten wir mit 
schwerem Herzen die Waffen strecken. Als man mir jedoch 
  
Sanitätsautomobile, Geschenk der Stadt Chemnitz 
auch mein Seitengewehr abnahm, durchzuckte mich ein 
weher Schmerz und fast unwillkürlich schlug ich mit meinem 
Arm nach dem Franzosen, der mit einem Kolbenschlag ant- 
wortete. Auch die sonstigen Sachen wurden uns abgenom- 
men, und den Inhalt meiner Feldflasche, Limonade, leerten 
sie sofort. Den Toten und den Besinnungslosen, welch letz- 
teren sie auch für tot hielten, ließen sie liegen. Später, als 
der Besinnungslose wieder zu sich kam, hatte er sich zur 
nächsten Feldwache zurückgeschlichen, ist aber wenige Tage 
danach seinen Verwundungen erlegen. Die beiden Unver- 
wundeten nahmen sie mit in Gefangenschaft, wo sie heute 
noch sind. Rechts und links von je einem unter den Arm 
gefaßt, schleppten sie mich nun ungefähr eine halbe Stunde, 
bis wir einen Waldrand erreichten. 
Meine Wunden bluteten unaufhörlich, und meine Kräfte 
schwanden immer mehr. Die Franzosen, die vermutlich einen 
Angriff unserseits erwarteten und denen mein Mitschleppen 
nur Verzögerungen verursachte, ließen mich an einem 
Waldesrand zurück. Die Hände auf dem Rücken befestigt, 
banden sie mich 
am Hals, umden 
Leib und an den 
Füßen an einen 
starken Baum 
und verbanden 
mir dann auch 
noch die Augen, 
jeden falls in der 
Absicht, mich spä- 
ter zu holen. Ich 
selbst glaubte 
aber nichts an- 
deres, sie woll- 
ten mich erschie- 
ßen, und trotz 
meiner Schmer- 
zen atmete ich 
auf, als sich die 
Franzosen ent- 
fernten. Sohabe 
ich in dieser Stel- 
lung über drei Stunden aushalten müssen. Langsam aber 
ständig rieselte das warme Blut aus den schmerzenden Wun- 
den, Hunger und besonders Durst quälten mich. Nicht 
bewegen konnte ich mich. Und zu dem allem gesellten sich 
noch seelische Sehmerzen. Wieviele Gedanken zogen an 
meinem Geist vorüber. Werde ich die teure Heimat, all 
die Lieben wiedersehen? Holen sie mich hier, oder muß 
ich hier den Hungertod erleiden? Es war still geworden. 
Ein leiser Wind wehte durch die Bäume und fast gleich- 
mäßig hörte ich die welken Blätter zur Erde fallen. Und 
weiter floß mein Blut, immer mehr Trraen meine Wun- 
den, immer heftiger quälte mich der Durst. Da endlich — 
als ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, machte 
Paerdegetrappel mein Herz höher schlagen. Erst entfernt 
— undeutlich hörte ich es nur — doch immer näher kam 
es heran. Wer beschreibt aber mein Erstaunen, meine große 
Freude, als deutsche Laute an mein Ohr klangen. Nie ist 
mir wohl die deutsche Sprache so schön erschienen, als hier, 
wo ich mit meinem Leben bereits abgeschlossen hatte. Es 
war eine Kavalleriepatrouille, die auf das Geknatter uns 
zur Hilfe gekommen war und mich dann erst so spät in 
dieser Stellung fand. Schnell hatten die Kameraden mich 
losgebunden, gaben mir zu trinken, zeigten mir die 
Richtung zur nächsten Feldwache und waren ebenso 
schnell verschwunden, wie sie gekommen. So stand ich 
ein Weilchen still. 
Das Pferdegetrappel verstummte in weiter Ferne. Dann 
bin ich langsam dahingekrochen, bis ich endlich abends s Uhr
	        
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