Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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helfötrage her. Gleich wird eine kleine Samariterübung 
abgehalten. Ein Pfadfinder wird kunstgerecht vom Baume 
abgeseilt. Strahlenden Gesichts läßt er sich's gefallen, 
daß ihm die zwei Kameraden den „gebrochenen“ Unter- 
schenkel schienen, zwei Winkerflaggen als Schienen, ein 
paar Hüte als Polster, zwei Gürtel darum: der Notver- 
band ist fertig. Sachgemäß erfolgt das Aufheben der 
Trage. Man merkt's, daß das oft geübt ist. — Bald sehen 
wir den Zug bei neuer Arbeit. Die eine Gruppe übt Ent- 
fernungsschatzen, eine andere Geländebeschreibung. Die 
dritte schult mit kleinen Buchstabentafeln ihr Sehvermögen. 
Ein Neuling muß auffällig nahe an die Tafel beran- 
treten, ehe er sie erkennt. „Hilfsfeldmeister W., sorgen 
Sie dafür, daß der Junge zum Augenarzt geht!“ Auf unsere 
beifällige Bemerkung erklärt und der Feldmeister, daß Ge- 
sundheitopflege bei den Pfadfindern eine große Rolle spiele, 
oft werde das Gebiß nachgesehen, vor Alkohol und Nikotin 
gewarnt. Tiefatemübungen würden schnell einmal zwischen 
die eigentlichen Ubungen eingeschoben. — „In Linie tre- 
ten! Bleistift und Papier heraus: Geländediktat !“ Die 
Neuen stutzen: „Was ist das?“ Bald merken sie, was sie 
machen sollen: ein Gelände, das ihnen beschrieben wird, 
nachzeichnen. Der Führer will, wie er uns erklärt, das 
raumliche Vorstellungsvermögen der Jungen prüfen. Ein 
kurzer Blick auf die Zeichnungen bestätigt uns, was der 
Führer behauptet: Je länger Pfadfinder, um so klarer das 
räumliche Vorstellungsvermögen. Die Jungen freilich fin- 
den das, was nun kommt, schöner: Schnelligkeitswettbewerb 
im Zeltebauen. In 2 Minuten stehen die Spitzzelte fertig 
da. Kochlochgraben, Lageralarm, Schlafsackbauen, Zelt- 
abbrechen schließen sich an. Auch dieser Zug hat noch ein 
Geländespiel vor: Nummernspiel. Ein jeder hat eine mehr- 
stellige Zahl am Hute. Die Parteien schleichen sich anein- 
ander an, richtiges Ablesen der JZiffer entwaffnet. Wie 
schön sich die Jungen da decken lernen, wie dies Spiel die 
Augen schärft! Noch ein kurzes Lob für ein paar besonders 
gute Leistungen, dann geht der Feldmeister auf die Suche 
nach dem letzten Zug, den er heute besuchen will. Der ist 
schon beim Kriegsspiel angelangk. Gerade trifft der Führer 
noch eine Patrouille, die lautlos durch den Wald schleicht. 
Noch haben alle den Kampffaden am Arm, sind also anschei- 
nend noch nicht mit dem Gegner zusammengetroffen. Wir 
schließen uns ihnen an. Vorsichtig geht's weiter, bis der 
Feind entdeckt ist. Mit ein paar Strichen skizziert der 
Kornett den Standort des feindlichen Lagers, und schnell 
trägt ein Pfadfinder die Meldung zurück. Eine Viertelstunde 
später kommt er mit seiner Abteilung wieder angeschlichen. 
Der Angriff kann erfolgen. Ein Zeichen, und im Nu 
stürzt sich alles auf das feindliche Lager. Die Entscheidung 
liegt bei der Gewandtheit. Kleine und Große können ohne 
Gefahr miteinander kämpfen. Kein wüstes Naufen hilft 
zum Siege. Die Kampffäden sind dem Gegner abzureißen. 
Da fällt manch langer Bursche einem kleinen, firen Kerl- 
chen zum Opfer. Ein paar Minuten läßt der Führer 
kämpfen, dann pfeift er ab. Leicht ist der Sieg festzustellen. 
Während sich der Zug zum Heimmarsch rüstet, erzählt uns 
der Führer noch manches, was uns beweist, wie bteer un- 
recht die Leute dem Pfadfinderbund tun, wenn sie sein 
Wesen mit dem Tadel „Soldatenspielen“ abfertigen. Wir 
bören von volkskundlichen Ausmärschen, von Besichtigung 
industrieller Betriebe, von Bekämpfung der Schundliteratur, 
von Heimatschutz und Geschmacksbildung, von ernsten Pfad- 
findergeboten. 
Die Dämmerung ist bereingebrochen. Nachdenklich und 
mit dem Vorsatz, die gewonnenen Eindrücke zu benutzen, 
wenn es gilt, ungerechten Angriffen auf die Pfadfinder 
entgegenzutreten, treten wir den Heimweg an. Mit Wan- 
derliedern, die am Zugsgabend im Heim geübt worden sind, 
ziehen die Pfadfinder vor uns her. Die Kornctts erörtern 
im Anschluß an das Geländespiel „taktische“ Fragen, die 
Kleinen aber erzählen sich von ihren Erlebnissen und 
Taten. „Mag sein,“ beginnt der Führer, der unfre Ge- 
danken erraten zu haben scheint, „daß heute nacht manch 
einer von Kampf und Feinden träumt. Aber das schadet 
nichts, er hat's ja selbst erlebt, nicht wie es so mancher 
schlecht beratene Altersgenosse in Schundbüchern gelesen. 
Und selbst die Mutter, die der Pfadfinderei nicht recht hold 
ist, freut sich sicher heute am Abendtisch über die hellen 
Augen und frischen Backen ihres Jungen, der ihr von 
seinen Kriegstaten und Listen erzählt, und bittet der „al- 
bernen Soldatenspielerei“), die aus ihrem träumerischen 
und weichlichen Stubenhocker einen. tatenfrohen, gesunden 
Jungen gemacht hat, im stillen manches ab. Gern wird 
sie, denke ich, der Bitte ihres Sohnes nachgeben, die 
nächste Ferienwanderung mitmachen zu dürfen. Oben im 
Gebirge haben die Pfadfinder ein bescheidenes Heim. Was 
drin steht, haben sie sich selbst gebaut. Dort wollen sie 
ein paar Tage hausen, im nahen Steinbruch abkochen, 
bei Sonnenuntergang ihre Volkslieder singen, in stern- 
klaren Nächten sogar im selbstgebauten Zelt schlafen. Glau- 
ben Sie mir, die Jungen schlafen bei solchem Leben besser 
als die Gäste drunten im Kurhaus. Und auch so sicher wie 
die! Draußen vor dem Lager sitzt der Kornett und späht 
übero Feld, hütet sein Fähnlein, auf ihn ist's gestellt, 
hälr seine Lider empor mit Gewaltl! Jungtreuer Führer, 
daß Gott dich erhalt!“ J. L. M. 
Oberstleutnant von Heygendorff 
Der Kriegerfriedhof in der Nähe der Kirche von Wirses 
in Frankreich, den Oberstleutnant von Heygendorff an- 
gelegt hat, deckt viele tüchtige Männer, darunter von 
Heygendorffs ältesten Sohn. Dieser, der Ordonnanz= 
offizier seines Vaters und Regimentskommandeurs, war am 
9. September 1916 vor dem Unterstande des Vaters schwer 
verwundet worden. Der Vater ließ ohne Klage seinen 
Teuren ins Lazarett schaffen. Er hörte ohne Murren 
die Nachricht von dem Tode des Verwundeten, der am 
nächsten. Morgen schon eingetreten war. Obwohl schmerz= 
gebeugt, verließ von Heygendorff nicht eine Stunde lang 
sein Regiment. Am 12. September abends gab er in seinem 
Unterstande bei Rancourt einen Befehl aus. Fünf Minuten 
später schlug eine feindliche Granate ein, tötete ihn, drei 
seiner Offiziere und einen Burschen. 
Der Divisionspfarrer hielt ihm am Grabe die Gedächt- 
nisrese. Aber auch der katholische Pfarrer des Ortes, 
dessen Bewohner den heimgegangenen Feind als edlen 
Menschenfreund bochschätzten, ließ es sich nicht nehmen, 
dem Verstorbenen eine Seelenmesse zu lesen, wie schon 
früher einmal ein katholischer Pfarrer in Belgien für ihn, 
den gütigen. Ortskommandanten, von der Kanzel herab 
gebetet hatte. 
Hatten schon die Feinde Grund zur Trauer um den Toten, 
so war das noch mehr der Fall bei seinen Vorgesetzten und 
Soldaten. 
Von Heygendorff war mit Leib und Seele Soldat ge- 
wesen. 
Am 1. März 1868 in Bad Elster als Sohn des dortigen 
Badekommissars geboren, besuchte er später das Kgl. Gym- 
nasium zu Drecden, war vorübergehend Page am Groß= 
berzoglichen Hofe zu Weimar und trat 1887 als Fahnen- 
junker in das Leibgrenadierregiment Nr. 100, wo er 1388 
Leutnant 1900 Hauptmann und 1911 Majot wurde. Da- 
zwischen war er 1892 Erzicher beim Kadettenkorps und 
1898 Ordonnanzoffizier und später persönlicher Adjutant 
beim Prinzen Friedrich August gewesen. Seine Vorgesetzten, 
der kommandierende General und der Brigadekommandeur 
berichten, wieviel er und sein Regiment unter schwierigen
	        
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