Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

Und auf der andern Seite: vermehrter Zuzug nach der 
Stadt. Die städtische Bevölkerung hat nicht nur absolut stark 
zugenommen, sondern vor allem auch relativ. Handel und 
Gewerbe aller Art, namentlich aber die Industrie sind in 
den Städten vertreten, nicht selten in ausschlaggebendem 
Maße, man denke nur an Chemnitz oder Reichenbach, an 
Leipzig für den Handel In den Großstädten aber und in 
den größeren Mittelstädten sind die vielen Bewohner auf 
engen Naum beschränkt, es herrscht eine Wohndichte bei 
hohen Wohnpreisen, die solche Wohnweise als in hohem 
Grade unzweckmäßig 
empfunden werden 
lassen müßte, trügen 
nicht Gewohnheit, Ge- 
dankenlosigkeit und eine 
Reihe oft nur vermeint- 
licher Vorzüge und Vor- 
teile des städtischen 
Lebens — Bildungs- 
Möglichkeiten, Ver- 
gnügungsmöglichkeiten, 
angeblich leichtere Ver- 
dienstmöglichkeiten, das 
ihre dazu bei, mit dem 
Unnatürlichen der 
Wohnweise in dem Ge- 
trenntsein von Boden 
und Natur sich als mit 
etwas Selbstverständ- 
lichem, Unabänder- 
lichem abzusinden. 
So lebt ein hoher 
Prozentsatz unseres 
Volkes, ein allzuhoher, 
ein Scheinleben, weit entfernt von einer gesunden, boden- 
ständigen, urwüchsigen Kultur, wohl gar sich erhaben 
fühlend oder dünkend über das Landvolk mit seiner ein- 
facheren aber gesunden Lebensweise, ohne der Bezlehungen 
zu gedenken zwischen Stadt und Land, hätte nicht der Krieg 
vielen die Augen geöffnet und sie erkennen lassen, daß es 
längst höchste Zeit gewesen, sich zu besinnen. 
Der Weltkrieg hat die Verbreitung der Einsicht gefördert, 
daß es nur dann wohl um ungs alle steht, wenn wieder 
möglichst viele in Verbindung, in Berührung mit der all- 
schaffenden, allernährenden Mutter Erde treten, wenn eine 
Wohnweise erstrebt wird, die diesem Ziele Rechnung trägt, 
die bewirkt, daß nicht immerfort immer mehr und mehr 
Menschen der falschen Verstädterung sich zukehren, sondern 
umgekehrt selbst in den Städten, in den Außenteilen der 
Städte die Menschen sich verländlichen durch eine Wohn- 
und Siedlungsweise, welche zur Wohnung ein angemessenes 
Stück Gartenland bereit stellt und beide zusammen in einer 
Form, die Dauerhaftigkeit des Besitzes — Seßhaftigkeit — 
und mäßige Preise — Preiswürdigkeit — gewährleistet. 
Wenn nach der Statistik von 1907 von lo# Hektar der 
landwirtschaftlich benutzten Fläche auf Betriebe von unter 
2 Hektar §,1, davon von unter 0,5 Hektar nur 1,3, von 
2—35 Hektar 9,1, von 5—20 Hektar 41,5, von 20—100 
Hektar 30,5, von über 100 Hektar 13,8, davon von über 
200 Hektar 6,1 Hektar Anteil entfielen, so ist gewiß von 
einem UÜberwiegen des Großgrundbesitzes nicht zu reden, wohl 
aber können noch viele Kleinstellen eingerichtet werden, ohne 
daß man von Zersplitterung des Besitzes sprechen könnte. 
Ein Vergleich mit andern dichtbesiedelten Teilen Deutsch- 
lands, so mit der Rheinprovinz und der Provinz West- 
falen, zeigt daselbst weit höhere Zahlen — 11,9 bzw. 9,6 
— an Betrieben unter 2 Hektar. Vgl. bierzu auch die An- 
sicht von Dr. Breymann Seite 318. 
Im ganzen und zusammenfassend läßt sich wohl sagen: 
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in siedlungspolitischer Hinsicht liegen in Sachsen die Ver- 
hältnisse so, daß auch für unsere engere Heimat die Frage 
der Errichtung von Heimstätten für unsere Krieger — aller- 
dings eng verbunden mit der Beschaffung von Klein= 
wohnungen überhaupt — eine überaus zeitgemäße und not- 
wendige Maßnahme bedeutet. Bei Lösung dieser Frage ist im 
einzelnen so zu verfahren, daß einerseits eine ansehnliche 
Zahl kleinbäuerlicher Siedlungsstellen für landwirtschaftliche 
Arbeitskräfte geschaffen, Kleinstellen, soweit sie vorhanden 
sind, möglichst erhalten werden, die Bildung von Groß- 
  
Straßenbild aus der Siedlung Auerswalde bei Chemnitz 
grundbesitz — neuerdings durch Kriegsaufkäufe beliebt — 
Mröglichst hintangehalten wird, daß andrerseits die Industrie 
mit ihren Arbeiterscharen soweit angängig aufs Land ver- 
legt wird oder aber in den Außenbezirken der Großstadt die 
weiträumige Siedlung in Flachbau Anwendung findet. 
2. Der Landesverband Sachsen des Bundes 
deutscher Bodenreformer zur Frage der Krieger- 
heimstätten 
Bald nachdem der Hauptausschuß für Kriegerheimstätten 
in Berlin seine „Grundzüge“ für eine Kriegerheimstätten- 
gesetz verabschiedet hatte, entschloß sich der Landesverband 
der sächsischen Bodenreformer zu wirksamer Mithilfe in 
dieser wichtigen Angelegenheit. Die ersten Erörterungen dar- 
über fanden bei Gelegenheit der Jahreshauptversammlung 
am 28. November lols statt. Ihr war am 27. November 
eine öffentliche Versammlung vorausgegangen, in der zwei 
Redner, Herr Universitätsprofessor Dr. Rein-Jena und 
Herr Pastor Johannes Wehrmann-Hamburg, über 
Kriegerheimstätten sprachen. In der Aussprache trat Herr 
Professor Dr. Kraft mit bedeutsamen Ausführungen er- 
gänzend hervor. 
Das Jahr 1916 war in erster Linie der Werbetätigkeit 
für den Hauptausschuß in Berlin gewidmet. Zu diesem 
Zwecke kamen gegen 4000 Werbeanschreiben an alle 
wichtigeren Vereine Sachsens zur Versendung. Ein Preß- 
ausschuß für Kriegerheimstätten unter Leitung des Herrn 
Lehrer Merker-Leipzig-Marienbrunn und unter Mithilfe 
des Herrn Professor Hedrich-Leisnig wurde eingerichtet 
und vermittelte in mäßigen Zeitabständen kleinere Artikel 
zur Frage der Kriegerheimstätten an etwa loo sächsische Zei- 
tungen. Des weiteren stellte der Landesverband seinen Orts- 
gruppen eine von Professor Dr. Propst, dem Verfasser 
dieser Zusammenstellung, entworfene „Übersicht über die
	        
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