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schen der Landwirtschaft nach Zuziehung beim Ansiedlungs-
geschäfte Rechnung zu tragen, weil ja der Charakter der An-
siedlung ein überwiegend ländlicher — wenn auch nicht land-
wirtschaftlicher, so doch wenigstens ländlicher — sein wird.
Es wird ja auch danach gestrebt, daß bei den Siedlungen in
der Nähe der Städte jedenfalls soviel Gartenland mit be-
schafft wird, um etwas Kleinvieh zu halten und die Familien
Gmise und Kartoffeln für den eigenen Bedarf erbauen zu
assen.
Neben der juristischen und technischen Zentralstelle, die
die Ansiedlung vermittelt, stehen dann lokale Instanzen, die
hauptsächlich die Grundstücksbeschaffung im einzelnen Falle,
die Kreditvermittlung und Beratung durchführen sollen.
Das sind die Bezirksverbände mit den Amtshauptmann-=
schaften. Der Bezirksverband erhält durch den Entwurf
eine ganz neue Aufgabe zugewiesen ... Er soll jetzt die
nötige Ermächtigung erhalten, um die Ansiedlung fördern
zu können. Ihm werden auch besondere Aufgaben zu-
gewiesen; er soll nämlich Land erwerben und an die An-
siedler verkaufen können, Erbbaurecht daran bestellen, die
Ansiedlungsstellen beleihen oder für die Kauf= und Bau-
gelderhypotheken gemeinschaftlich mit der Gemeinde Bürg-
schaft übernehmen bönnen.
Es ist auch zur Sprache gekommen, was in der Ersten
Kammer von Herrn Wirkl. Geh. Rat Dr. Waentig aus-
geführt worden ist, daß es sich nämlich empfehle, besonders
darauf hinzuweisen, daß die Bestrebungen zur Förderung
des Erbbaurechtes weiter ausgebaut werden möchten.
Es ist von Sr. Exzellenz Dr. Waentig nicht mit Unrecht
darauf hingewiesen worden, daß namentlich in der Provinz
Posen die Ansiedlungstätigkeit insofern erschwert ist, als die
Ansiedlungsstellen dort zum Gegenstande von Grundstücks-
spekulationen gemacht worden sind, und da wird empfohlen,
doch diesen Spekulationen durch alsbaldigen Verkauf der
Ansiedlergelände vorzubeugen, indem man eben die Stelle
nur in Erbbaurecht überträgt oder, wenn man es nicht tut,
daß man in der Weise verfährt, wie es die Stadt Ulm tut,
oder daß man sich wenigstens das Vorkaufsrecht für eine
Reihe von Jahren vorbehält.“
Der Entwurf fand auch in der Zweiten Kammer ein-
stimmig Annahme.
II. Die Behandlung des Antrages Dr. Seyfert und Genossen
1. Der Antrag Dr. Seyfert, Dr. Niethammer
und Genossen auf Schaffung von Kriegerheimstätten
vom 6. April 1916 (Ltg. Bericht. 2. Kammer Nr. 321 S. 31):
Die Kammer wolle beschließen, die Königliche Staats-
regierung zu ersuchen
I. 1. Gemeinden und Bezirbsverbände zu veranlassen, den
heimkehrenden Kriegern leerstehende Wohnungen in
erster Linie nachzuweisen,
2. zwecks Feststellung der leerstehenden Wohnungen in den
Gemeinden eine Statistik zu erheben und über diese
baldmöglichst den Ständekammern Mitteilung zu
machen, 6
3. den Wohnungsnachweis, den neuen Verhältnissen Rech-
nung tragend, gründlich auszubauen und Beratungs-
stellen für Wohnungsfürsorge im allgemeinen und ins-
besondere für die aus dem Felde Heimkehrenden ein-
zurichten,
4. die Gemeinden und Bezirksverbände auch fernerhin an-
zuhalten, Kleinwohnungsbau unter Beihilfe von Staats-
mitteln zu fördern. Soweit es sich um Verbesserung
alter Wohnungen, beziehentlich um Umbau solcher für
Kleinwohnungen handelt und hierbei Maßregeln zur
Kreditbeschaffung für den bestehenden Hausbesitz in
Frage kommen, geeignete Maßnahmen zu treffen, so-
wie weiter reichlich baupolizeiliche Ausnahmen durch
ihre ausführenden Organe zu gestatten,
§J. neben der Beschaffung von Handwerker= und Arbeiter-
stellen für Kriegsteilnehmer, vor allem auch für
die Kriegsbeschädigten, die gezwungen sind, ihren Be-
ruf zu wechseln, die Gründung von Hausgarten-
wirtschaften und von Wirtschaftsheimstätten
nach jeder Richtung zu fördern und zu diesem Zweck
soweit möglich staatliche Ländereien zu günstigen Be-
dingungen zur Verfügung zu stellen, Kirchen= und
Schulbehörden, sowie Gemeinden und Bezirksverbände
zu veranlassen, mit ihrem Landbesitz in gleicher Weise
zu verfahren; «
II. die Erste Kammer zum Beitritt zu diesen Beschlüssen ein-
zuladen.
2. Aus den Deputationsverhandlungen der
Zweiten Kammer dazu (ogl. Bericht der 2. Kammer
Nr. 321 vom 4. April 1916, 31 Seiten umfassend):
Der Antrag Dr. Seyfert und Genossen war das Ergeb-
nis ausführlicher Deputationsverhandlungen über einen am
11. November lols bereits von denselben Abgeordneten
eingebrachten Antrag auf Schaffung von Kriegerheimstätten.
Dieser Antrag war ohne Vorberatung am 23. November der
Rechenschaftsdeputation zur Beratung überwiesen worden.
Er wurde nach Ernennung der Herren Abgeordneten Beda
und Oertel zu Berichterstattern am 15. und 16. Dezember
1915, am 7. und 28. Februar sowie am 14., 21., 23. und
24. März 1916 behandelt. Bei der erstmaligen Beratung
am 15. Dezember lols hatte ihn der als Gast erschienene
Abgeordnete Dr. Seyfert eingehend begründet, unter freund-
licher Aufnahme des Antrags seitens der Deputation. Der
erste Berichterstatter legte bereits für die Sitzung am 16. De-
zember Leitsätze von ziemlichem Umfange vor, um eine mög-
lichst eingehende Aussprache und Klärung der Ansichten her-
beizuführen.
Bei der Aussprache über diese Leitsätze kam unter an-
derem zum Auedruck, daß man hinsichtlich der Wohnungs-
fürsorge dem Eigenbesitz des Arbeiters aus vielen gewichtigen
Gründen das Wort nicht reden könne, vielmehr solle einer
Beschränkung der Freizügigkeit entschieden vorgebeugt wer-
den. Dem wurde entgegengehalten, daß die Absicht persön-
licher Freiheitsbeschränkung allgemein nicht zutreffend und
es ein Irrtum sei, daß die Seßhaftmachung des Arbeiters
seine Knebelung bedeute, im Gegenteil sei darin namentlich
für kinderreiche. Familien eine Wohltat zu erblicken. Die
Hauptschwierigkeit der Lösung dieser Frage wurde in der
Geldbeschaffung gesehen und dies von mehreren Seiten be-
tont. Die Deputation kam zu dem Beschluß, neben der Er-
richtung von Kleinwohnungen in der Hauptsache und in
erster Linie Wohngelegenheiten für die minderbemittelte Be-
völkerung und für die aus dem Kriege Heimkehrenden zu
beschaffen.
In der Sitzung vom 28. Februar kamen folgende ver-
kürzte Leitsätze des Berichterstatters zur Beratung:
„A. Die Übelstände, die auf dem Wohnungsmarkte be-
reits vor dem Kriege vorhanden waren, werden durch den
Krieg gesteigert und nach dem Kriege besonders stark her-
vortreten. Die Wohnungsnot wird nach dem Kriege vor
allen Dingen die Männer und Familienväter betreffen, die
jetzt im Felde stehen und aus irgendeinem Grunde ihre
Wohnungen aufgeben oder wechseln mußten. Gerade diesen,
gegenüber aber hat die Allgemeinheit die besondere Pflicht,
ihnen geeignete Wohnstätten bereitzustellen.
B. Die Wohnungsfürsorge wird sich grundsätzlich im-
Rahmen der allgemeinen Wohnungsfürsorge zu vollziehen
haben, jedoch sollen die heimkehrenden Krieger gewisse Be-
günstigungen genießen, insofern als
1. in der Zentralstelle für Wohnungsfürsorge für sie
eine besondere Beratungsstelle eingerichtet werden solk
und sie
2, allenthalben zuerst berücksichtigt werden sollen.