Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

sie von Anfang an genau dem Haager Abkommen von 1907 
entsprechend behandelt und ihnen Aufenthalte zugewiesen, 
die ihrer Gesundheit zuträglich waren. 
Darum galt es fuͤr jeden Bundesstaat, so auch für 
Sachsen, rasch zu handeln und entweder schon vorhandene 
Baulichkeiten für die Aufnahme von Kriegögefangenen ein- 
zurichten oder sozusagen aus einem Nichts kleine Städte 
zu schaffen, die Tausende fremder Einwohner aufnehmen 
mußten. So erklärt es sich, daß auch in unserm engeren 
Vaterlande die Kriegsgefangenen auf verschiedene Art und 
Weise untergebracht wurden. Während einerseits alte oder 
neue Wehrhallen wie in Bautzen, Bischofswerda, Chemnitz 
und Döbeln die Fremdlinge aufnahmen, dienten anderseits 
neuerbaute Holzhäuser, so z. B. in Zwickau, diesem Zwecke. 
Auf dem Truppenübungsplatze Königsbrück aber standen 
zunächst die unbenutzten Wellblechbauten dafür zur Ver- 
fügung, dann jedoch Zelte und vom Winter 1914—18 ab 
besonders eingerichtete Holzgebäude. An andern Orten, so 
in Wiesa bei Annaberg und Golzern bei Grimmoa, belegte 
die Heeresverwaltung günstig gelegene Fabrikräume mit 
Kriegsgefangenen, und die Festung Königstein richtete sie 
als Offiziersgefangenenlager ein. 
Die immerhin große Zahl und Verschiedenartigkeit der 
zur Verfügung stehenden Unterkunftsräume hat nicht nur 
in Hinsicht auf die Verwaltung Schwierigkeiten bereitet, 
sondern forderte vor allem für jeden einzelnen Fall eine 
eigenartige innere Einrichtung und Ausstattung. Die Wehr- 
hallen zwar waren schon immer für die Aufnahme großer 
Menschenmassen vorgesehen und änderten ihr Bild durch 
die Belegung mit Kriegsgefangenen nur wenig, aber die 
neugegründeten Holzhäuserstädte erforderten viel Arbeit, 
bevor sie bezogen werden konnten. Man denke nur an Ab- 
wässer, Beleuchtung, Fernheizung, Post, Feuerlöschung, Ver- 
waltung, Neinigung, Entlausung, Krankenstuben, Küchen, 
Spielplätze u. a. m. Als das alles geordnet oder beschafft 
war, da erinnerten nur der Stacheldraht und der wachsame 
Landstürmer daran, daß in diesen Siedlungen Kriegs- 
gefangene hausten. 
Die innere Ausstattung der seltsamen Häuser mußte aus 
mancherlei Gründen höchst einfach gehalten werden. An- 
fangs stand den Insassen nur Stroh als Lagerstätte zur 
Verfügung; später wurden Säcke bereitgestellt, die man 
mit Holzwolle gefüllt hatte. Obwohl sie sich gut bewährte, 
mußte sie — sehr rar und teuer geworden — bald dem 
Papiere weichen. Die Säcke lagen auf Latten, später in ein- 
fachen Bettgestellen. An diesen waren Bordbretter an- 
gebracht, die es den Gefangenen ermöglichten, ihr Eß- 
geschirr, ihre Kisten und Kasten gut geordnet unterzubringen. 
Als Zudecke dienten Schlafdecken, im Winter zwei, im 
Sommer deren eine für jeden Mann. An den Seiten der 
Räume standen hölzerne Tische und Bänke. Elektrische 
Lampen erhellten nachts das Haus, das bis 500 Mann 
beherbergte, und Fernheizkörper oder kleine eiserne Öfen 
erwärmten es in der balten Jahreszeit gleichmäßig. 
Die kriegsgefangenen höheren Unteroffiziere wurden nach 
Möglichkeit in besonderen Abteilungen des Hauses unter- 
gebracht, um schon dadurch ihre Bedeutung als Vorgesetzte 
hervorzuheben und ihnen einige Annehmlichkeiten zu ge- 
währen, wofür sie sich im allgemeinen sehr erkenntlich ge- 
zeigt haben. Die Offiziere lebten von den Mannschaften 
getrennt in den Lagern Bischofswerda, Döbeln, Festung 
Königstein und Wiesa, und zwar Leutnants und Haupt- 
leute zu zweien oder dreien, Stabsoffiziere einzeln oder 
zu zweien, Generale allein in einem Zimmer. Diesen stand 
in vielen Fällen ein zweiter Raum zur Verfügung. Die 
Wohnungen waren einfach, aber sauber ausgestattet. Die 
Insassen sorgten selbst für Schmuck und Bequemlichkeiten. 
Indes alle die zahlreichen Unterkunftsstätten hätten für 
die 55 000 Kriegsgefangenen, die Sachsen bis Ende Mai 
343 
1918 überwiesen worden waren, nicht ausgereicht, wenn 
nicht eine bedeutende Zahl von ihnen außerhalb der Lager 
auf Arbeit gewesen und von den Arbeitgebern untergebracht 
worden wäre. Diese arbeitenden Kriegsgefangenen blieben 
jedoch einem Lager als dem Stammlager zugeteilt und 
wurden dort gezählt. So kam es, daß am 1. Juli 1918 jedes 
Mannschaftslager mehr Kriegsgefangene zählte, als es auf- 
nehmen konnte. Folgende Übersicht mag das zeigen: 
Das Lager konnte beherbergen zählte 
Bautzen mit Großporitzsch 6380 Gefangene 0404 
Chemnitz mit Golzern 5000 „ 211°01 
Tr.-Pl. Königsbrück 09150 „ 14778 
Zwickeean .. 5000 „ 8803 
Die eben erwähnte Unterbringung der Kriegsgefangenen 
durch die Arbeitgeber war genau geregelt und vertraglich fest- 
gelegt. Kamen größere Arbeitsabteilungen in Frage, so nahm 
das abgebende Stammlager in der Regel vor Aufnahme 
der Arbeit eine eingehende Besichtigung der in Aussicht ge- 
nommenen Unterkunftögelasse vor. Kleinere Arbeitsabtei- 
lungen prüfte man öfter später auch in Hinsicht auf Unter- 
kunft. Die Kriegsgefangenen wurden grundsätzlich von deut- 
schen Arbeitern getrennt untergebracht. Oie Wohnung mußte 
als für Menschen geeignet sich erweisen und Sicherheit 
gegen Ausbruch des Gefangenen bieten. Dieser hatte als 
Mindestmaß an Luftraum " Kubikmeter zu beanspruchen. 
Als Lagerstätte war ihm ein Stoffsack (Strohsack mit Kopf- 
kissen), der mit Stroh oder Holzwolle gefüllt sein mußte, 
zu überlassen. Der Arbeitgeber hatte außerdem für Decken 
— im Winter für zwei, im Sommer für eine — für 
Handtücher — aller Wochen eins — und das notwendigste 
Eß-, Trink= und Waschgerät zu sorgen und auf tägliche 
Reinigung, Lüftung und nötigenfalls Erwärmung des Ge- 
fangenenraumes zu halten. 
Da die Offiziere nicht außerhalb der Lager arbeiten 
durften, so waren diese in der Negel nur mit etwas weniger 
Gefangenen belegt, als sie fassen konnten. So vermochten 
die Lager 
Bischofswerda 1 am 275 Mann waren (256 (02) Mann 
Döbeln... II. Juli 1916 220 „ aber am J100 (68) „ 
Königstein ! oufzur- 70 „ (1. Juli 1918 # 77(00)„ 
Wiesa nehmen 100 „ belegt mit (150 (63) „ 
Die Zahlen in Klammern geben die den Offizieren zu- 
geteilten Burschen an. 
Wenn schon durch die Einführung der Kriegsgefangenen- 
arbeit die Zahl der Lagerbewohner ständig wechselte, so noch 
mehr durch Zugang und Abgang der Gefangenen aus und 
nach andern Lagern. Wahre kleine Völkerwanderungen 
waren es zuzeiten, die die Gefangenenstädte überfüllten oder 
entvölkerten. Bald trafen Tausende von Gefangenen un- 
mittelbar vom Kampfstrich ein, bald aus den Durchgangs- 
lagern in den Grenzgebieten, wo die neuen Gefangenen 
gesammelt und dann auf die Lager des Binnenlandes ver- 
teilt worden waren; bald von Arbeitolagern, die man zur 
Vergeltung im Kampf= ober Vorkampfgebiet errichtet, aber 
nach Aufhebung der völberrechtswidrigen feindlichen Maß- 
regeln wieder aufgelöst hatte; bald von andern sächsischen 
oder deutschen Lagern, weil Angehörige bestimmter Völker- 
schaften oder auch Berufe vereinigt oder Betriebs= und 
Strafmaßnahmen durchgeführt werden sollten; bald aus 
österreichischen Orten, die Gefangene aus volkswirtschaft- 
lichen Gründen entbehren konnten; bald von Arbeitsstätten, 
wo die Arbeit beendet oder verweigert worden war. 
Auf diese Weise wurden den sächsischen Lagern insgesamt 
1723 Offiziere und Arzte und 92 324 Unteroffiziere und 
Mannschaften sowie 3308 bürgerliche Gefangene, im ganzen 
also 99 445 Menschen zugeführt, während am 1. Juli 1918 
nur 4 318 Mann den Lagern angehörten. 
Dieser reichliche Zugang und Abschub von Menschen, wie
	        
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