Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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er sich aus den Zahlen ergibt, ist nicht nur ein Teilbeweis 
für die Behauptung, daß die Bewohner der Erde noch nie 
so hin und her und durcheinander geworfen worden sind wie 
in diesem Weltkriege, sondern auch ein Zeichen dafür, daß 
in den Lagern schon rein äußerlich ein reges Leben herrschte, 
ein ewiges Kommen und Gehen. 
Daß sich dieser Massen- wie auch der Einzelverkehr ohne 
Stockung vollziehen konnte, das war der zweckmäßigen An- 
lage besonders der großen Gefangenenheime zu danken. 
Eine breite Hauptstraße durchzieht ein jedes von ihnen. 
Schmälere Seitenwege zweigen sich links und rechts von 
ihr ab. Auf beiden Seiten stehen die schmucken Holzhäuser, 
die Giebel der Straße zukehrend. Diese sind fortlaufend 
numeriert, so daß sich jeder Bewohner und Fremde leicht 
  
Offizierszinimer auf Königstein 
zurechtfinden kann. An den Gängen und zwischen den 
Häuschen haben kunstsinnige Hände reizende Schmuckbeete 
angelegt oder bewundernswerte Denksteine, Kreuze und 
andere Kunstwerke errichtet. Man hat nicht Zeit noch Raum, 
das alles zu betrachten, denn die Menschen drängen sich, 
und neue Eindrücke dringen auf den Besucher ein. Ein 
buntes Völkergemisch tritt ihm entgegen: Engländer, Fran- 
zosen, Russen, Serben, Rumänen, Italiener, Schwarze 
verkehren in grösiter Freundschaft miteinander. Die einen 
stehen vor einer Verkaufostelle und kaufen den täglichen 
Bedarf, die andern eilen zur Küche, um Kartoffeln zu 
schälen, andere wieder fahren in= großen Handwagen Kar- 
toffeln, Rüben und Kraut herbei; ein ganzer Zug marschiert 
daher, jeder Brote auf den Schultern oder unter den Armen; 
vor den Küchen stehen die Köche und lechzen nach frischer 
Luft; aus großen Bündeln werden Tausende von Hand- 
tüchern verteilt; Krankenpfleger hasten durch das Lager, und 
die Wachtposten überschauen all das Getriebe mit Scharf- 
blick und Nuhe. Ordnung und Sauberkeit herrscht überall. 
Ja, die Unterkunft der Kriegsgefangenen in Sachsen war 
musterhaft. Das mußten auch die Verwöhntesten unter 
ihnen anerkennen. 
Wenn das schon von einem Niesenmannschaftslager galt, 
so in erhöhtem Maße von den kleinen Offiziersheimen. In 
einem solchen z. B. befanden sich im Kellergeschoß außer 
Vorratsräumen und Kohlenbehältern die Küche und die 
dazugehörigen Gelasse. Vier Kessel und ein Herd waren 
da aufgestellt. In einem der Kessel kochten zwei Russen 
unter Aufsicht eines deutschen Unteroffiziers für die briegs- 
gefangenen Mannschaften, die die Offiziere bedienten und 
sonstige Lagerarbeiten verrichteten. Die übrigen Kochgelegen- 
beiten standen den Offizieren allein zur Verfügung. Die 
Bereitung der Speisen lag ganz in den Händen eines von 
diesen gewählten Ausschusses, der sechs russische Köche und 
Burschen damit beschäftigen durfte. Die deutsche Ver- 
waltung besprach mit ihm nur den Speiseplan und lieferte 
ihm die nötigen Kochmittel. Neben der Küche lag der 
Speisesaal, in dem die Offiziere wegen Platzmangels in 
zwei Abteilungen speisten. Der Anfang der Mahlzeit ward 
durch ein Klingelzeichen bekannt gegeben. Den Offizieren 
stand allerdings auch frei, auf ihren 
Zimmern zu essen, was viele taten. 
Aus dem Speisesaal konnte man in 
das Spielzimmer gehen, in dem 
ein Billard und ein Klavier stan- 
den, und das darum auch ale Unter- 
haltungsraum benutzt wurde. Daran 
grenzte der Verkaufsraum, in dem 
man Wein, Bier, Tabak, JZigarren, 
Zigaretten, Lebensmittel, Gebrauchs- 
gegenstände usw. erwerben bonnte. 
Endlich enthielt das Kellergeschoß 
noch eine Tischlerei, in der zwei 
russische Tischler vorwiegend für die 
Offiziere arbeiteten. 
Im Erd= sowie im ersten und 
zweiten Obergeschoß befanden sich 
die Wohnungen der Offiziere und 
Mannschaften sowie die Stuben der 
Lagerverwaltung, von jenen nachts 
durch verschlossene Lattentüren ge- 
trennt. Hier konnten die Gefangenen 
täglich beim Lager= oder Wirtschafts- 
offizier, beim ersten Gesprächsmitt- 
ler oder auch bei dem Befehlshaber 
ihre Wünsche und Beschwerden an- 
bringen; hier war die Kassenver- 
waltung untergebracht, in der sie 
halbmonatlich ihr Gehalt abheben 
und ihr Guthaben in Anspruch nehmen durften. In 
einem großen Raume des zweiten Stockwerkes waren 
kostbare Waren wie Porzellan, Bronzen, Bücher ufsw. 
zum Verkaufe ausgestellt; hier walteten auch zwei russische 
Haarschneider ihres Amtes, und zwar unter Aufsicht von 
Offizieren. Der Verkehr in diesem Raume war deshalb 
sehr lebhaft. In einem andern Flügel des gleichen Ge- 
schosses hatte die Lagerverwaltung eine Stube zur Kapelle 
hergerichtet. Die Ausstattung rührte teilweise von den Ge- 
fangenen selbst her, teilweise war sie durch Vermittlung 
einiger Ausschüsse beschafft worden. Der Schmuck bestand 
in russischen Heiligenbildern, Teppichen und kunstvoll ge- 
schnitzten Kerzenständern. Durch die Fürsprache des Lager- 
vorstandes stellte man den Kriegsgefangenen die Meßgeräte 
der griechischen Kirche in Leipzig zur Verfügung. Die Gottes- 
dienste fanden regelmäßig Sonnabend abend und Sonntag 
früh statt, außerdem an hohen russischen Feiertagen. Ein 
kriegsgefangener russischer Priester leitete sie. 
Das dritte Obergeschoß enthielt einen großen Unter- 
haltungsraum, der von der Verwaltung mit Vorhängen und 
Korbmöbeln, von den Offizieren mit Bildern ausgeschmückt 
wurde. Hier fand man eine große Bücherei, die ein Offizier 
verwaltete, und die sich großen Zuspruches erfreute. Endlich 
war im Lager auch eine Handwerkerstube eingerichtet 
worden, in der russische Schneider und Schuhmacher im 
Auftrage der Offiziere die Kleidung und Schuhe der Ge-
	        
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