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lehrreich zu sehen, wie sich die Vertreter dieses oder jenes
Volkstumes zur deutschen Kost verhielten. Die Franzosen
verachteten z. B. die Suppe jeder Art und jeder Form,
während die Russen nicht genug davon bekommen konnten,
wenn sie nur dick genug war, sei es am Morgen, Mittag
oder Abend, und überhaupt, wie oben schon erwähnt, mehr
Gewicht auf die Menge, als auf die Art der Zubereitung
legten. Davon können die Arbeitgeber, die solche Halb-
oder Ganzasiaten beschäftigt haben, viel erzählen. Gerichte,
die wir im Kriege zu den Feinkostgängen zählten, fanden
vor diesen Fremdlingen keine Gnade. Der eine sagte, als
er Ei mit Spinat vorgesetzt erhielt: „Ei gut, Gras is sich gut
für Kuh;“ der andere, der zu Schmorbraten mit Kartoffeln
eingeladen wurde: „Mutter gut, Essen nir gut.“ Dagegen
schnappten sie in den Lagern, wo sie mit Gefangenen anderer
Herkunft zusammenhausten, nach jedem Reste, der von
dem Tische ihrer Verbündeten fiel.
Der verschiedene Geschmack der Gefangenen war aber
nicht die einzige Schwierigkeit, mit der ein Unternehmer
zu kämpfen hatte. Zwar wurden ihm im Herbste 1014 und
Winter 1914—15 genügend preiswerte Nahrungemittel
angeboten, aber diese Riesenmengen, die etwa 3000 Ge-
fangene nur für einen Monat beanspruchten, von der Bahn
nach dem Lager befördern zu lassen und sie sachgemäß auf-
zubewahren, war in vielen Fällen eine unlösbare oder
schwierig auszuführende Aufgabe. Um das anschaulich zu
machen, mögen dafür hier einige Zahlen stehen. Zur Er-
nährung von rund s000 Gefangenen wurden im Januar
1915 z. B. in der Regel verbraucht an
Fleischh rund 230 Zentner
Fischen„ 98 „
Reeieis „ 68 „
Hülsenfrüchten „ 00 „
Kartoffeen, 2000 „
Frischem Gemüse .„ 220 „
Salslz„ 55 „
Dörrgemüäse „ 26 „
anderen Nahrungsmitteln „ 300 „
Brot „ 900 „
zusemmen 3087 Zentner
Zur Beförderung solcher Mengen hätte es eines Eisen-
bahnzuges von etwa 20 Wagen bedurft.
Das mochte alles sein, solange die reichen Vorräte der
Ernte 1914 vorhielten. Als diese aber zu Ende gingen, be-
gann zum ersten Male die Sorge um die Beschaffung von
Nahrungsmitteln aufzutauchen. Dieser Umstand in Verbin-
dung mit der Erfahrung, daß die Verpflegung durch die
Unternehmer zu mancherlei Mißhelligkeiten und Ubelständen
geführt hatte, ließ es der Heeresverwaltung geraten er-
scheinen, die ganze Angelegenheit selbst in die Hände zu
nehmen, d. h., die Lager aufzufordern, für die Ernährung
ihrer Bewohner selbst zu sorgen — und zwar vom 1. Mai 1915
ab —, also den Grundsatz der sogenannten Eigen-
wirtschaft durchzuführen.
Unterdessen war es auch gelungen, die Ernährung der
Gefangenen wissenschaftlich anzufassen. Man stellte genau
die Arten und Mengen der Rohstoffe fest, derer ein Kriegs-
gefangener bedurfte, um sich genügend zu ernähren. Für
den Anfang galten folgende Maße für Mann und Tag:
0,085 Kilogramm Eiweiß, o,040 Kilogramm Fett und
0,475 Kilogramm Kohlehydrate oder 2700 Kalorien; später
änderte man sie auf o, Oo Kilogramm Eiweiß, o,0 30 Kilo-
gramm Fett und 0,500 Kilogramm Kohlehydrate ab. Unter-
ernährten oder arbeitenden Gefangenen wurde außerdem
ein Zuschlag von 10 v. H. gewährt. Den Verpflegungs-
satz erhöhte man den Warenpreisen entsprechend von 60
auf böchstens 66, dann auf 85 Pfennige; gegen Ende des
Krieges ist. auch diese Grenze überschritten worden. Das
Brot war in den Satz nicht eingerechnet.
Diese Bestimmungen und Anordnungen gingen alle von
einem Punkte, dem Preußischen Kriegsministerium, aus
und galten für alle Kriegsgefangenenlager des Reiches. Die
Behörde gab auch Musterspeisepläne heraus, nach denen
die einzelnen Lager den örtlichen Verhältnissen angepaßte
auszuarbeiten hatten. Das regte die verantwortlichen Be-
amten stetig an, über die Ernährung nachzudenken und
genau zu rechnen, und bot die sichere Gewähr, daß die Ge-
fangenen allenthalben auskömmlich ernährt und keine Nah-
rungomittel vergeudet wurden, zwei Zwecke, die für die
Volkswirtschaft und die Volksernährung um so mehr von
weitreichendem Belang sein mußten, als die Arbeitskräfte
infolge der Länge des Krieges immer kostbarer und die
Nährmittel durch den Mangel an landwirtschaftlichen Ar-
beitern und Düngemitteln sowie den fortschreitenden Ab-
schluß Deutschlands vom Auslande immer rarer zu werden
drohten. Um sich zu vergewissern, daß in jedem Lager genau
nach Vorschrift verfahren werde, ließ sich die oberste Ver-
waltungsbehörde, die hier in Frage kam, monatlich einmal
einen Wochenspeiseplan einreichen und gab ihn mit den Be-
merkungen Sachverständiger durch die Zwischenbehörden an
das Lager zurück. Damit der Laie ein Bild davon bekommt,
wie sich in einer Woche die Ernährung der Gefangenen etwa
gestaltete, mag hier ein solcher Wochenspeisezettel aus einem
sächsischen Lager Platz finden:
Speisezektel
des Kriegsgefangenenlagers Truppenübungsplatz Königs-
brück in der Woche vom 16.—22. September 1017.
Da- Tag sMorgens g Mittags g Abends g
16. Sonntag] Kaffee-Ers. 10| Rindfleisch 50 Kartoffeln 1000
Zucker, 10| Kartoffeln 3350 Lischroggen 100
gemahlen Weißkraut 600|Tee= Ersatz 1
Marmelade 50 Bohnenmehl 10/Sacharin 003
17. Montag Kakao 20| Ackerbohnen 100Weiz engrieß 75
Maismehl 20 Kartoffeln 5300W7eize imehll 20
Sacharin 006 /Autokl.- Fett 58ucker, gem. 10
18.]Dienetag|Kaffee-Ers. 10 Salzfisch 1100 Graupen 75
Zuckerr, Weißkraut 400|Dörrgemüse 40
gemahlen 10 Kartoffeln 400| Bohnenmeh.l! 20
NMargarine 5| Autokl.-Fett 5
10. Mittwoch Kaffee: Ers. 10 Ackerbohnen 150 Kartoffeln 750
I
Zuder, Bohnenmehl 30 Fischroggen 100
gemahlen 10 Autokl.“Fett 5Tee-Ersatz 1
Mairüben 000/Sacharin 003
20.Donners-Kakao 20 Rindfleisch 50)Peluschken 100
tag Maismehl 20/Weißkraut 600 Rüb.-Sauerkr.400
Sacharin 006|Kartoffeln 330 Bohnenmehl0
Peluschk. Mehll 10| Margarine 5
21.)Freitag Kaffee-Ers, 10 Salzsish. 100|Ackerbohnen 100
Zucker, Kartoffeln 550 Kartoffeln 220
gemahlen 10 Salzbohnen 75 Würzkäse 30
Talg DValg 5
gee Meh 10
Kaffee- Ers. 10 Rübenkraut
22.Sonn= 64 Kartoffeln 750
abend Zuckerr., Graupen 75|1Würzkäse 50
gemahlen 10| Autokl.-Fett 5 Margarine 5
Peluschk. Mehl 10| Tee-Ersatz
6 Sacharin ooß
Mengen in Litern: Morgens: ½ I, Mittags: 1 1, Abends: 11.
Brot für den Tag: 230 Gramm.
Die Nahrungsmittel sind nach ihrem Gewichte im trockenen
Zustande angegeben.
Ebenso wichtig wie die Anordnungen des Kriegemini-
steriums war sein Entschluß und dessen Ausführung, die
wesentlichsten Nahrungomittel und Dauerwaren selbst im
großen anzukaufen und den einzelnen Lagern auf Verlangen
zu überlassen, denn dadurch sind dem Reiche viele Millionen
erspart worden, weil die Preise, die von der Behörde ge-