Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

346 
lehrreich zu sehen, wie sich die Vertreter dieses oder jenes 
Volkstumes zur deutschen Kost verhielten. Die Franzosen 
verachteten z. B. die Suppe jeder Art und jeder Form, 
während die Russen nicht genug davon bekommen konnten, 
wenn sie nur dick genug war, sei es am Morgen, Mittag 
oder Abend, und überhaupt, wie oben schon erwähnt, mehr 
Gewicht auf die Menge, als auf die Art der Zubereitung 
legten. Davon können die Arbeitgeber, die solche Halb- 
oder Ganzasiaten beschäftigt haben, viel erzählen. Gerichte, 
die wir im Kriege zu den Feinkostgängen zählten, fanden 
vor diesen Fremdlingen keine Gnade. Der eine sagte, als 
er Ei mit Spinat vorgesetzt erhielt: „Ei gut, Gras is sich gut 
für Kuh;“ der andere, der zu Schmorbraten mit Kartoffeln 
eingeladen wurde: „Mutter gut, Essen nir gut.“ Dagegen 
schnappten sie in den Lagern, wo sie mit Gefangenen anderer 
Herkunft zusammenhausten, nach jedem Reste, der von 
dem Tische ihrer Verbündeten fiel. 
Der verschiedene Geschmack der Gefangenen war aber 
nicht die einzige Schwierigkeit, mit der ein Unternehmer 
zu kämpfen hatte. Zwar wurden ihm im Herbste 1014 und 
Winter 1914—15 genügend preiswerte Nahrungemittel 
angeboten, aber diese Riesenmengen, die etwa 3000 Ge- 
fangene nur für einen Monat beanspruchten, von der Bahn 
nach dem Lager befördern zu lassen und sie sachgemäß auf- 
zubewahren, war in vielen Fällen eine unlösbare oder 
schwierig auszuführende Aufgabe. Um das anschaulich zu 
machen, mögen dafür hier einige Zahlen stehen. Zur Er- 
nährung von rund s000 Gefangenen wurden im Januar 
1915 z. B. in der Regel verbraucht an 
Fleischh rund 230 Zentner 
Fischen„ 98 „ 
Reeieis „ 68 „ 
Hülsenfrüchten „ 00 „ 
Kartoffeen, 2000 „ 
Frischem Gemüse .„ 220 „ 
Salslz„ 55 „ 
Dörrgemüäse „ 26 „ 
anderen Nahrungsmitteln „ 300 „ 
Brot „ 900 „ 
zusemmen 3087 Zentner 
Zur Beförderung solcher Mengen hätte es eines Eisen- 
bahnzuges von etwa 20 Wagen bedurft. 
Das mochte alles sein, solange die reichen Vorräte der 
Ernte 1914 vorhielten. Als diese aber zu Ende gingen, be- 
gann zum ersten Male die Sorge um die Beschaffung von 
Nahrungsmitteln aufzutauchen. Dieser Umstand in Verbin- 
dung mit der Erfahrung, daß die Verpflegung durch die 
Unternehmer zu mancherlei Mißhelligkeiten und Ubelständen 
geführt hatte, ließ es der Heeresverwaltung geraten er- 
scheinen, die ganze Angelegenheit selbst in die Hände zu 
nehmen, d. h., die Lager aufzufordern, für die Ernährung 
ihrer Bewohner selbst zu sorgen — und zwar vom 1. Mai 1915 
ab —, also den Grundsatz der sogenannten Eigen- 
wirtschaft durchzuführen. 
Unterdessen war es auch gelungen, die Ernährung der 
Gefangenen wissenschaftlich anzufassen. Man stellte genau 
die Arten und Mengen der Rohstoffe fest, derer ein Kriegs- 
gefangener bedurfte, um sich genügend zu ernähren. Für 
den Anfang galten folgende Maße für Mann und Tag: 
0,085 Kilogramm Eiweiß, o,040 Kilogramm Fett und 
0,475 Kilogramm Kohlehydrate oder 2700 Kalorien; später 
änderte man sie auf o, Oo Kilogramm Eiweiß, o,0 30 Kilo- 
gramm Fett und 0,500 Kilogramm Kohlehydrate ab. Unter- 
ernährten oder arbeitenden Gefangenen wurde außerdem 
ein Zuschlag von 10 v. H. gewährt. Den Verpflegungs- 
satz erhöhte man den Warenpreisen entsprechend von 60 
auf böchstens 66, dann auf 85 Pfennige; gegen Ende des 
Krieges ist. auch diese Grenze überschritten worden. Das 
Brot war in den Satz nicht eingerechnet. 
Diese Bestimmungen und Anordnungen gingen alle von 
einem Punkte, dem Preußischen Kriegsministerium, aus 
und galten für alle Kriegsgefangenenlager des Reiches. Die 
Behörde gab auch Musterspeisepläne heraus, nach denen 
die einzelnen Lager den örtlichen Verhältnissen angepaßte 
auszuarbeiten hatten. Das regte die verantwortlichen Be- 
amten stetig an, über die Ernährung nachzudenken und 
genau zu rechnen, und bot die sichere Gewähr, daß die Ge- 
fangenen allenthalben auskömmlich ernährt und keine Nah- 
rungomittel vergeudet wurden, zwei Zwecke, die für die 
Volkswirtschaft und die Volksernährung um so mehr von 
weitreichendem Belang sein mußten, als die Arbeitskräfte 
infolge der Länge des Krieges immer kostbarer und die 
Nährmittel durch den Mangel an landwirtschaftlichen Ar- 
beitern und Düngemitteln sowie den fortschreitenden Ab- 
schluß Deutschlands vom Auslande immer rarer zu werden 
drohten. Um sich zu vergewissern, daß in jedem Lager genau 
nach Vorschrift verfahren werde, ließ sich die oberste Ver- 
waltungsbehörde, die hier in Frage kam, monatlich einmal 
einen Wochenspeiseplan einreichen und gab ihn mit den Be- 
merkungen Sachverständiger durch die Zwischenbehörden an 
das Lager zurück. Damit der Laie ein Bild davon bekommt, 
wie sich in einer Woche die Ernährung der Gefangenen etwa 
gestaltete, mag hier ein solcher Wochenspeisezettel aus einem 
sächsischen Lager Platz finden: 
Speisezektel 
des Kriegsgefangenenlagers Truppenübungsplatz Königs- 
brück in der Woche vom 16.—22. September 1017. 
  
  
  
  
Da- Tag sMorgens g Mittags g Abends g 
16. Sonntag] Kaffee-Ers. 10| Rindfleisch 50 Kartoffeln 1000 
Zucker, 10| Kartoffeln 3350 Lischroggen 100 
gemahlen Weißkraut 600|Tee= Ersatz 1 
Marmelade 50 Bohnenmehl 10/Sacharin 003 
  
17. Montag Kakao 20| Ackerbohnen 100Weiz engrieß 75 
Maismehl 20 Kartoffeln 5300W7eize imehll 20 
Sacharin 006 /Autokl.- Fett 58ucker, gem. 10 
18.]Dienetag|Kaffee-Ers. 10 Salzfisch 1100 Graupen 75 
Zuckerr, Weißkraut 400|Dörrgemüse 40 
gemahlen 10 Kartoffeln 400| Bohnenmeh.l! 20 
NMargarine 5| Autokl.-Fett 5 
10. Mittwoch Kaffee: Ers. 10 Ackerbohnen 150 Kartoffeln 750 
I 
Zuder, Bohnenmehl 30 Fischroggen 100 
gemahlen 10 Autokl.“Fett 5Tee-Ersatz 1 
Mairüben 000/Sacharin 003 
20.Donners-Kakao 20 Rindfleisch 50)Peluschken 100 
tag Maismehl 20/Weißkraut 600 Rüb.-Sauerkr.400 
Sacharin 006|Kartoffeln 330 Bohnenmehl0 
Peluschk. Mehll 10| Margarine 5 
21.)Freitag Kaffee-Ers, 10 Salzsish. 100|Ackerbohnen 100 
  
Zucker, Kartoffeln 550 Kartoffeln 220 
gemahlen 10 Salzbohnen 75 Würzkäse 30 
Talg DValg 5 
gee Meh 10 
Kaffee- Ers. 10 Rübenkraut 
  
  
  
  
22.Sonn= 64 Kartoffeln 750 
abend Zuckerr., Graupen 75|1Würzkäse 50 
gemahlen 10| Autokl.-Fett 5 Margarine 5 
Peluschk. Mehl 10| Tee-Ersatz 
6 Sacharin ooß 
Mengen in Litern: Morgens: ½ I, Mittags: 1 1, Abends: 11. 
Brot für den Tag: 230 Gramm. 
Die Nahrungsmittel sind nach ihrem Gewichte im trockenen 
Zustande angegeben. 
Ebenso wichtig wie die Anordnungen des Kriegemini- 
steriums war sein Entschluß und dessen Ausführung, die 
wesentlichsten Nahrungomittel und Dauerwaren selbst im 
großen anzukaufen und den einzelnen Lagern auf Verlangen 
zu überlassen, denn dadurch sind dem Reiche viele Millionen 
erspart worden, weil die Preise, die von der Behörde ge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.