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fangenen vertrauten sich zwei Reichsdeutschen an, nämlich
dem evangelischen Pfarrer Winter aus Dresden und dem
katholischen Pfarrer Palkowski aus Posen. Für die Ab—
haltung der Gottesdienste errichtete man in jedem Lager
bald nach dessen Gründung Lagerkirchen oder richtete be-
stimmte Räume als solche ein, die man nach Lage der Ver-
hältnisse nach und nach vornehmer ausstattete. In der
Regel waren es besondere Holzhäuser, entweder je eines
für die römisch-katholische und russisch-katholische Glaubens-
form oder für beide eines mit nur getrennten Altären. Die
Ausstattung stammte aus Beuteftücken, aus deutschen
Kirchen, die leihweise heilige Geräte abgaben, aus Neu—
anschaffungen zu Lasten des Reiches, aus den Heimatländern
der Gefangenen, aus den Kunstwerkstätten des Lagers und
aus Liebesgabensendungen.
Die wenigen evangelisch-lutherischen Kriegsgefangenen
nahmen, solange sie sich im Lager aupfhielten, unter Auf-
Franzosen-Gedenksiein in Chemnitz
sicht an den Gottesdiensten teil, die in ihrer Muttersprache
in der für das Stammlager in Frage kommenden Kirche
abgehalten wurden, später, wo sie auf Arbeit sich befanden,
in der Gemeindekirche ihres Aufenthaltsortes.
Die jüdischen Kriegsgefangenen durften an ihren hohen
Feiertagen eine benachbarte Kirche ihres Glaubens besuchen
oder ließen sich durch einen deutschen Rabbiner im Stamm-
lager erbauen.
Viele der Gefangenen, besonders die Russen, stärkten
ibre Seele in der schweren Zeit der Gefangenschaft durch
Abendandachten. Es lag etwas Rührendes und Erbebendes
zugleich darin, diese Naturmenschen andachtsvoll stehen
und kunstlos, aber herrlich frisch die alten slawischen Kirchen-
weisen singen zu hören, während sich die Nacht auf das
Lager senkte und ihnen einen neuen Schleier vor ihre nächste
Zukunft wob. Der Glaube half ihnen über vieles hinweg
und erwies sich als eine Kraft, die der Mensch ohne Schaden
micht entbehren bann.
Er erleichterte ihnen auch den Gang zum Grabe. Aus
den ergreisenden Liedern der Serben, die sie dem heim-
bebrenden Kameraden zum letzten Male sangen, erstrahlte
die Gewißheit, der Mensch ist nicht nur Natur, er ist im
Innersten ein Leben, das nie sterben kann. Solch eine Ge-
fangenenbestattung vollzog sich nach Möglichkeit in der
geheiligten Form des Heimatlandes. Freiwillig begleiteten
Kameraden den Sarg zur Gruft. Ein kriegsgefangener
Geistlicher waltete seines Amtes. Das Grab war wie ein
deutsches aufbereitet und mit einem Kranze geschmückt,
auf dem Name, Geburts= und Todestag des Verblichenen
verzeichnet standen. Ein Holz oder Zementkreuz bezeichnete
später die geweihte Stätte. Solche besondere Gefangenen-
friedhöfe hatten die Lager Golzern und Truppenübungsplatz
Königsbrück angelegt, die übrigen benützten die beiligen
Felder ihres Standortes. Jene bilden eine Sehenswürdig-
keit der Umgebung, denn sie sind mit Denkmälern ge-
schmückt, die kriegsgefangene Künstler entworfen und aus-
geführt baben. Die Gräber werden auch nach Auflösung
der Lager säuberlich instand gehalten, so daß die Angehörigen
eines in Sachsen verstorbenen Gefangenen, die übrigens
von seinem Tode bald unterrichtet wurden, ihren Lieben
sorglich gebettet wissen dürfen.
Ganz feierlich wirkten die Gotteodienste, die zum Ge-
dächtnis der Toten an hoben kirchlichen Feiertagen auf den
Friedhöfen abgehalten worden sind. Ein kriegsgefangener
Geistlicher hielt die Erinnerungsrede, die Teilnehmer
sehmückten Gräber und Denkmäler mit Blumen und
Kränzen. Fremdartiger, aber jeden berührender Gesang er-
scholl über die stillen Gruften. So ließ der Deutsche seine
Feinde auf seinem Boden noch im Tode ehren.
Ja, der Tod hat nicht nur auf den Kampfgefilden furcht-
bare Ernte gehalten, er forderte auch in den Gefangenen-
lagern seine Opfer trotz aller Körper= und Seelenpflege im
allgemeinen und gewissenhafter gesundheitlicher Maßnahmen
im besonderen. Aber die Totenliste dürfte sich ohne diese
furchtbar vergrößert haben, denn der Krieg bringt Seuchen
mit sich von alters her und tötet durch seine häßliche
Schwester Pestilenz, was dem Schwerte entrinnt. Darum
erschien es in dieser Hinsicht als vornehmste Aufgabe jedes
Lagers, das Gespenst, das man noch heute im Bußtags-
liede zu zwingen glaubt, die Pest jeder Art, zu bannen. Sie
ist glänzend gelöst worden dank den gesunden Witterungs-
verhältnissen unseres Landes, der deutschen Gesundheits-
wissenschaft und der Arzte Kunst und Pflichttreue. Wo
sich alledem zum Trotz ansteckende Krankheiten zeigten, weil
aus dem Felde im Keime eingeschleppt, da gelang es nach
burzer Zeit, sie in den Anfängen zu fassen und zu ersticken.
Die Absperrung der Befallnen erfolgte als erster wirkungs-
voller Eingriff. Allein nicht nur diesen gefährlichen Gegnern
deo menschlichen Lebens galt der Kampf des Gesundheits-
dienstes; dieser achtete auch auf die harmlosen und auf die
Gebrechen der Gefangenen. Um all die schwierigen Dinge
meistern zu können, hatte jedes Mannschaftslager ein Kranken-
haus eingerichtet, jedes Offizierslager eine Krankenstube zur
Verfügung. Hier waltete täglich zu gewissen Tagesstunden
ein Heeres= oder Bürgerarzt; er war, wenn nötig, auch sonst
sofort erreichbar. Seine Hilfskräfte bildeten den Gesund-
heitsdienst, der im wesentlichen aus Deutschen bestand,
aber durch Kriegsgefangene sich ergänzte. Tag und Nacht
gingen sie ihrer Plicht nach.
In Fällen schwerer Erkrankung, für die die Lagerein=
richtungen nicht genügten, führte man die Kriegsgefangenen
in Hilfskrankenhäuser über; ebenso dann, wenn sich die Not-
wendigkeit einer Sonderbehandlung herausstellte.
Die Kranken befanden sich allenthalben in besonders
trockenen, hellen Näumen, erhielten Bettstelle und Matratze
oder Strohsack und Bettwäsche und trugen Krankenkleidung
nach Art der Deutschen. Fühlte sich ein Kriegogefangener
krank, so hatte er sich beim deutschen Gesundbeitsdienst
oder bei seinem Stubenältesten zu melden. Darauf erfolgte
die Vorstellung beim Arzte. Dieser bezeichnete ihn je nach
der Art des Leidens als sehonungsbedürftig, als für den