Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

stigen und sozialen Leben der jüngsten Vergangenheit dienten 
mehrere Sonderausstellungen: „Das Haus der Frau“, 
„Kind und Schule“, die „Ausstellung für das kaufmän= 
nische Bildungswesen“, im akademischen Viertel die Aus- 
stellung „Der Student“, die Ausstellungen „Deutschland 
im Bild“, „Deutsche Kolonien“ und „Deutschtum im Aus- 
land“, nicht zu vergessen das „Lichtspielhaus“ zu praktischer 
Vorführung künstlerisch vollendeter, belehrender wie unter- 
haltender Films, und noch in bescheidenem Ausmaß, jedoch 
für die Zukunft des Völkerverkehrs wünschenswerte Erleichte- 
rung versprechend das „Esperantohaus“. So war das mit 
Vorbedacht und unendlicher Mühe geschaffene Ganze ein 
„Dokument der geistigen Kultur aller Völker und Zeiten“, 
wie L. Volkmann, der Präsident der Ausstellung, beiihrer Er- 
öffnung am 6. Maimit Recht sagen durfte, „ein Friedenswerk 
im besten Sinne des Wortes, international auf kraftvoller 
nationaler Basis“. Wahrlich, eine glänzende Heerschau geisti- 
ger Werte der Menschheit wae hier geboten, zugleich ein voll- 
gültiges Zeugnis dafür, was Deutschland zur Förderung gei- 
stiger Kultur schöpferisch beizutragen verstand, ein sinnfälliger 
und blarer Ausdruck auch für die Regsamkeit geistigen 
Lebens in unserem engeren Vaterland Sachsen und für 
die Weltstellung, die es dank emsiger, taktvoller und 
weitschauender Arbeit in glücklichem Zusammenwirken von 
Kopf, Hand und Maschine auf dem Markte geistiger Güter 
am Ausgang der Vorkriegszeit einnahm. 
Ein vielverheißendes Werk für die Zukunft des eigenen 
Volks und des ganzen Menschengeschlechts war in schönster 
Weise vollbracht; denn was könnte wirksamer und edler 
die Völker miteinander verbinden, als der Austausch und 
die Verbreitung der besten Erzeugnisse ihres Geisteslebens 
durch Buch und Kunstblatt und durch ein im Sinne rechter 
Aufklärung geleitetes Zeitungswesen? Doch hier inmitten 
dieses bewegten Treibens, das zielstrebigen Schaffensernst 
und bunte Heiterkeit wundersam mischte, auf einem seltenen 
Höbepunkte deutscher und sächsischer Geistesgeschichte mit 
freudigem Rückblick auf Erreichtes und lichtem Ausblick 
in ein lockendes Land der Zukunft ward in dem Sommer, 
da jäh über Deutschland das Schicksal hereinbrach, der 
ganze Wandel der inneren seelischen Einstellung besonders 
lebhaft und eindringlich empfunden, als mit überraschender 
Plötzlichkeit der Ubergang „von der Weltkultur zum Welt- 
krieg“ eintrat. Bei der Feier des Johannisfestes, nach 
der Enthüllung des Denkmals Gutenbergs, dieses Deutschen, 
der soviel zur Beflügelung des geistigen Verkehrs in der 
Menschhbeit getan hatte, traf die Schreckenskunde von der 
Ermordung des österreichischen Thronfolgers und seiner Ge- 
mahlin in Serajewo ein. Weiterblickende sahen sofort die 
große Gefahr, die den europäischen Frieden bedrohte: ebenso 
in Leipzig, dessen führende Kreise bei ihren ausgedehnten 
Verbindungen sehr wohl die kritische Lage zu beurteilen 
verstanden, wie an anderen großen Industrie= und Handels- 
plätzen Sachsens, besonders in der Haupt= und Residenz- 
stadt, wo der Königliche Hof mit dem schwerbetroffenen 
Hause Habsburg in nahen verwandtschaftlichen Beziehungen 
stand. Indes die Hoffnung blieb wach, daß die Gefahr 
vorübergehen werde; gerade auf Erwägungen sittlicher Art 
konnte sich solch günstigere Meinung stützen; unglaublich 
mochte es scheinen, daß die gegnerischen Mächte oder nun 
gar neutrale zum Schutze Serbiens, an dem der Makel 
eines aus blindem Nationalhaß begangenen offenkundigen 
Verbrechens haftete, einzuschreiten wagen würden; schon 
die Scheu, das Weltgewissen wider sich zu haben, so glaubte 
man, mußte davon abhalten. Indes nach den harten Be- 
dingungen, die Österreich den Serben stellte, sank die Er- 
wartung auf einen Ausgleich dahin; ward nunmehr Öster- 
reich durch einen Angriff der osteuropäischen Großmacht 
in seinem staatlichen Dasein bedroht, so mußte zugleich 
mit dem Deutschen Neich auch Sachsen in die kriegerische 
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Entscheidung des Streitfalls gezogen werden. In ungeheurer 
Spannung vibrierten die Gemüter. In diesem furchtbar 
kritischen Moment fehlte es in der Bevölkerung nicht an 
solchen, die einen raschen Ruf zu den Waffen guthießen, 
nicht aus leichtherzigem Sinn, sondern in der tiefen Über— 
zeugung, daß das Vaterland nur dadurch vor einer noch 
größeren, bei längerem Säumen wachsenden Gefahr ge- 
rettet werden könne. Aber auch entschiedene Proteste gegen 
den Krieg, auf Grund der Anschauung von der Verwerflich- 
keit jedes blutigen Auskämpfens von Völkerzwist, wurden 
laut. Wohl die Mehrzahl sah der Entscheidung mit stärk- 
stem inneren Anteil, schwebend zwischen Hoffen und schwerer 
Ahnung, entgegen, ohne treibende Kriegolust, aber auch 
ohne Bangigkeit und im festen Vertrauen auf die 
gerechte Sache Deutschlands, das mehr als vierzig Jahre 
hindurch ein Hort des Friedens gewesen war. Doch als 
nun die erregenden Nachrichten von dem schon gegen uns 
begonnenen russischen Aufmarsch im Osten, von dem In- 
trigenspiel fremder Diplomaten, von der Durchkreuzung 
der friedlichen Absichten des Deutschen Kaisers und seiner 
Regierung immer alarmierender eintrafen, da schlugen auch 
in Sachsen die Wogen der Begeisterung für das geliebte, so 
schändlich bedrohte Vaterland mächtig empor. Schon fand 
die politische Erregung hier und da in Umzügen und An- 
sammlungen öffentlichen Ausdruck; und wo es nicht zu 
lauten Kundgebungen kam, da glühten die Herzen und 
schlugen heftig bewegt in der Brust, die von drängenden 
Gefühlen zum Uberspringen voll war. 
Am 31. Juli war zur Vorbereitung alles Notwendigen 
der Zustand der drohenden Kriegsgefahr erklärt worden; 
am Spätnachmittag des 1. August erschien der Befehl zur 
Mobilmachung von Heer und Flotte, die zur Fahne Ein- 
berufenen begannen sich bei ihren Truppenteilen zu stellen. 
Nun lohte das Kriegsfeuer auf: die Lust an künftiger 
großer Tat, das heiße Begehren, den Feinden, die uns 
so schmählich zu überfallen gedachten, bräftig für ihre schnöde 
Absicht heimzuzahlen, die Hoffnung auf Kampfeslorbeer 
und baldigen Sieg. Stürmisch wurden die durchziehenden 
Truppen begrüßt; alle Liebe wollte man denen noch antun, 
die zum Schutze der teueren Heimat in Kriegsmühsal und 
Todesnähe hinauszuziehen bestimmt waren. Aber am be- 
zeichnendsten für die Stimmung der Volksseele in diesem 
schicksalsschweren Augenblick war etwas anderes: die ruhige 
Würrde, der innerlich gefaßte Ernst, die klare Entschlossen- 
heit, mit der man die getroffenen Entscheidungen aufnahm, 
bereit und willig alles zu tun, was der Rettung und dem 
Wohle des Vaterlandes und aller seiner einzelnen Glieder 
in der hereinbrechenden furchtbaren Not dienlich sein bonnte. 
„Wahrlich der große Moment schuf sich ein großes Ge- 
schlecht.“ 
Am Abend eines solchen die Seele aufwühlenden Tages 
sank der blutigrote Sonnenball in majestätischer Einsam- 
keit ohne Wolkenkranz zum Horizont; und die Nacht zog 
herauf über Menschengruppen in erregtem Gespräch und 
über den Häusern, wo so mancher von Weib und Kind 
sich loszureissen begann und in der Stille die nötigsten 
Vorbereitungen für den Eintritt in den Kriegsdienst traf. 
Noch schwankte eine kurze Frist die Wage in der Hand des 
Schicksals. War noch in letzter Stunde ein Nachgeben der 
Gegner denkbar, ein Ausweg, der es Deutschland ermög- 
lichte, in Ehren das Schwert wieder in die Scheide zu tun? 
Sehr bald kam die Kunde von Grenzverletzungen deut- 
schen Bodens in Ost und West. Dazu schwirrten aller- 
hand verworrene Gerüchte über merkwürdige und schreck- 
hafte Vorgänge im eigenen Lande umher; ins Ungemessene 
wuchs die Aufregung. Da, in den Vormittagsstunden des 
kommenden Sonntags, am 2. August, als die Kirchgänger 
nach erschlitternd ernstem Gottesdienst sich ins Gewühl 
der Menge zu mischen begannen, verkündeten Sonderblätter
	        
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