stigen und sozialen Leben der jüngsten Vergangenheit dienten
mehrere Sonderausstellungen: „Das Haus der Frau“,
„Kind und Schule“, die „Ausstellung für das kaufmän=
nische Bildungswesen“, im akademischen Viertel die Aus-
stellung „Der Student“, die Ausstellungen „Deutschland
im Bild“, „Deutsche Kolonien“ und „Deutschtum im Aus-
land“, nicht zu vergessen das „Lichtspielhaus“ zu praktischer
Vorführung künstlerisch vollendeter, belehrender wie unter-
haltender Films, und noch in bescheidenem Ausmaß, jedoch
für die Zukunft des Völkerverkehrs wünschenswerte Erleichte-
rung versprechend das „Esperantohaus“. So war das mit
Vorbedacht und unendlicher Mühe geschaffene Ganze ein
„Dokument der geistigen Kultur aller Völker und Zeiten“,
wie L. Volkmann, der Präsident der Ausstellung, beiihrer Er-
öffnung am 6. Maimit Recht sagen durfte, „ein Friedenswerk
im besten Sinne des Wortes, international auf kraftvoller
nationaler Basis“. Wahrlich, eine glänzende Heerschau geisti-
ger Werte der Menschheit wae hier geboten, zugleich ein voll-
gültiges Zeugnis dafür, was Deutschland zur Förderung gei-
stiger Kultur schöpferisch beizutragen verstand, ein sinnfälliger
und blarer Ausdruck auch für die Regsamkeit geistigen
Lebens in unserem engeren Vaterland Sachsen und für
die Weltstellung, die es dank emsiger, taktvoller und
weitschauender Arbeit in glücklichem Zusammenwirken von
Kopf, Hand und Maschine auf dem Markte geistiger Güter
am Ausgang der Vorkriegszeit einnahm.
Ein vielverheißendes Werk für die Zukunft des eigenen
Volks und des ganzen Menschengeschlechts war in schönster
Weise vollbracht; denn was könnte wirksamer und edler
die Völker miteinander verbinden, als der Austausch und
die Verbreitung der besten Erzeugnisse ihres Geisteslebens
durch Buch und Kunstblatt und durch ein im Sinne rechter
Aufklärung geleitetes Zeitungswesen? Doch hier inmitten
dieses bewegten Treibens, das zielstrebigen Schaffensernst
und bunte Heiterkeit wundersam mischte, auf einem seltenen
Höbepunkte deutscher und sächsischer Geistesgeschichte mit
freudigem Rückblick auf Erreichtes und lichtem Ausblick
in ein lockendes Land der Zukunft ward in dem Sommer,
da jäh über Deutschland das Schicksal hereinbrach, der
ganze Wandel der inneren seelischen Einstellung besonders
lebhaft und eindringlich empfunden, als mit überraschender
Plötzlichkeit der Ubergang „von der Weltkultur zum Welt-
krieg“ eintrat. Bei der Feier des Johannisfestes, nach
der Enthüllung des Denkmals Gutenbergs, dieses Deutschen,
der soviel zur Beflügelung des geistigen Verkehrs in der
Menschhbeit getan hatte, traf die Schreckenskunde von der
Ermordung des österreichischen Thronfolgers und seiner Ge-
mahlin in Serajewo ein. Weiterblickende sahen sofort die
große Gefahr, die den europäischen Frieden bedrohte: ebenso
in Leipzig, dessen führende Kreise bei ihren ausgedehnten
Verbindungen sehr wohl die kritische Lage zu beurteilen
verstanden, wie an anderen großen Industrie= und Handels-
plätzen Sachsens, besonders in der Haupt= und Residenz-
stadt, wo der Königliche Hof mit dem schwerbetroffenen
Hause Habsburg in nahen verwandtschaftlichen Beziehungen
stand. Indes die Hoffnung blieb wach, daß die Gefahr
vorübergehen werde; gerade auf Erwägungen sittlicher Art
konnte sich solch günstigere Meinung stützen; unglaublich
mochte es scheinen, daß die gegnerischen Mächte oder nun
gar neutrale zum Schutze Serbiens, an dem der Makel
eines aus blindem Nationalhaß begangenen offenkundigen
Verbrechens haftete, einzuschreiten wagen würden; schon
die Scheu, das Weltgewissen wider sich zu haben, so glaubte
man, mußte davon abhalten. Indes nach den harten Be-
dingungen, die Österreich den Serben stellte, sank die Er-
wartung auf einen Ausgleich dahin; ward nunmehr Öster-
reich durch einen Angriff der osteuropäischen Großmacht
in seinem staatlichen Dasein bedroht, so mußte zugleich
mit dem Deutschen Neich auch Sachsen in die kriegerische
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Entscheidung des Streitfalls gezogen werden. In ungeheurer
Spannung vibrierten die Gemüter. In diesem furchtbar
kritischen Moment fehlte es in der Bevölkerung nicht an
solchen, die einen raschen Ruf zu den Waffen guthießen,
nicht aus leichtherzigem Sinn, sondern in der tiefen Über—
zeugung, daß das Vaterland nur dadurch vor einer noch
größeren, bei längerem Säumen wachsenden Gefahr ge-
rettet werden könne. Aber auch entschiedene Proteste gegen
den Krieg, auf Grund der Anschauung von der Verwerflich-
keit jedes blutigen Auskämpfens von Völkerzwist, wurden
laut. Wohl die Mehrzahl sah der Entscheidung mit stärk-
stem inneren Anteil, schwebend zwischen Hoffen und schwerer
Ahnung, entgegen, ohne treibende Kriegolust, aber auch
ohne Bangigkeit und im festen Vertrauen auf die
gerechte Sache Deutschlands, das mehr als vierzig Jahre
hindurch ein Hort des Friedens gewesen war. Doch als
nun die erregenden Nachrichten von dem schon gegen uns
begonnenen russischen Aufmarsch im Osten, von dem In-
trigenspiel fremder Diplomaten, von der Durchkreuzung
der friedlichen Absichten des Deutschen Kaisers und seiner
Regierung immer alarmierender eintrafen, da schlugen auch
in Sachsen die Wogen der Begeisterung für das geliebte, so
schändlich bedrohte Vaterland mächtig empor. Schon fand
die politische Erregung hier und da in Umzügen und An-
sammlungen öffentlichen Ausdruck; und wo es nicht zu
lauten Kundgebungen kam, da glühten die Herzen und
schlugen heftig bewegt in der Brust, die von drängenden
Gefühlen zum Uberspringen voll war.
Am 31. Juli war zur Vorbereitung alles Notwendigen
der Zustand der drohenden Kriegsgefahr erklärt worden;
am Spätnachmittag des 1. August erschien der Befehl zur
Mobilmachung von Heer und Flotte, die zur Fahne Ein-
berufenen begannen sich bei ihren Truppenteilen zu stellen.
Nun lohte das Kriegsfeuer auf: die Lust an künftiger
großer Tat, das heiße Begehren, den Feinden, die uns
so schmählich zu überfallen gedachten, bräftig für ihre schnöde
Absicht heimzuzahlen, die Hoffnung auf Kampfeslorbeer
und baldigen Sieg. Stürmisch wurden die durchziehenden
Truppen begrüßt; alle Liebe wollte man denen noch antun,
die zum Schutze der teueren Heimat in Kriegsmühsal und
Todesnähe hinauszuziehen bestimmt waren. Aber am be-
zeichnendsten für die Stimmung der Volksseele in diesem
schicksalsschweren Augenblick war etwas anderes: die ruhige
Würrde, der innerlich gefaßte Ernst, die klare Entschlossen-
heit, mit der man die getroffenen Entscheidungen aufnahm,
bereit und willig alles zu tun, was der Rettung und dem
Wohle des Vaterlandes und aller seiner einzelnen Glieder
in der hereinbrechenden furchtbaren Not dienlich sein bonnte.
„Wahrlich der große Moment schuf sich ein großes Ge-
schlecht.“
Am Abend eines solchen die Seele aufwühlenden Tages
sank der blutigrote Sonnenball in majestätischer Einsam-
keit ohne Wolkenkranz zum Horizont; und die Nacht zog
herauf über Menschengruppen in erregtem Gespräch und
über den Häusern, wo so mancher von Weib und Kind
sich loszureissen begann und in der Stille die nötigsten
Vorbereitungen für den Eintritt in den Kriegsdienst traf.
Noch schwankte eine kurze Frist die Wage in der Hand des
Schicksals. War noch in letzter Stunde ein Nachgeben der
Gegner denkbar, ein Ausweg, der es Deutschland ermög-
lichte, in Ehren das Schwert wieder in die Scheide zu tun?
Sehr bald kam die Kunde von Grenzverletzungen deut-
schen Bodens in Ost und West. Dazu schwirrten aller-
hand verworrene Gerüchte über merkwürdige und schreck-
hafte Vorgänge im eigenen Lande umher; ins Ungemessene
wuchs die Aufregung. Da, in den Vormittagsstunden des
kommenden Sonntags, am 2. August, als die Kirchgänger
nach erschlitternd ernstem Gottesdienst sich ins Gewühl
der Menge zu mischen begannen, verkündeten Sonderblätter