372
reichen und strengere geistige Schulung voraussetzenden Bü-
chern war dies der Fall (Deutschland und der Weltkrieg,
B. G. Teubner 1916; in zwei starken Bänden 10.—14.
Tausend). Erheblichere Ziffern des Absatzes nach Zahl und
Auflage der Schriften erzielte auch die religiös erbauliche
Literatur (C. Hinrichs-Leipzig; C. L. Ungelenk-Dresden).
Aber Werke zumal schwierigeren Gehalts, die nicht dem
Tagecsinteresse dienten, konnten nur schwer Förderung durch
den Druck erfahren; manche Zeitschriften gerieten ins
Stocken oder gingen wohl auch ganz ein. Dabei ließ sich
die merkwürdige Beobachtung machen, daß die Kauflust
unter den Abnehmern besonders infolge der manchem zu-
fallenden ansehnlichen Kriegsgewinne, keineswegs flau war;
man sprach sogar von guten Jahren des Buchhandelo. Auch
der Antiquariatsbuchhandel zog daraus seinen Nutzen. Doch
ald allmählich die Vorräte erschöpft waren und die Her-
stellung von Neudrucken die größten Schwierigkeiten fand,
da wurde es mühselig und oft unmöglich, selbst sehr be-
gehrte Schriften im Buchhandel aufzutreiben: auch in diesem
geistigsten aller Gewerbe trat etwa im vierten Kriegsjahr
ein Erschöpfungszustand ein.
Eine Aufgabe besonderer Art, wie sie der Krieg ganz
neu stellte, war die Fürsorge für die geistige Nahrung der
sächsischen Truppen. Ein planmäßiges Vorgehen tat hier
not; ermöglicht wurde es dank dem Eingreifen der Liebes-
tätigkeit. Auf Anregung des Kronprinzen Georg sowie seines
jüngeren Bruders Prinz Friedrich Christian wurde unter
Vorsitz Seiner Kgl. Hoheit des Prinzen Johann Georg
am 18. Februar 1915 in Dresden ein „Landesausschuß
zur Versorgung der Truppen im Feldemit Lese-
stoff“ begründet. Zwei Unternehmen sollten dem erstrebten
Zwecke dienen: die Herausgabe einer besonderen, den Trup-
pen im Stellungskrieg bis in die vordersten Reihen folgenden
sächsischen Kriegszeitung, deren schon oben gedacht worden
ist, und die Versendung geeigneter Schriften mannigfaltig-
sten Inhalts. Dafür wurde ein besonderer „Bücheraus-
schuß“ eingesetzt, an dessen Spitze der Direktor der Landes-
bibliothek in Dresden, Geh. Regierungsrat Dr. H. Ermisch,
stand; die Auswahl der Schriften (Saxonica, unterhaltende
und humoristische Literatur, Kriegsschriften, Erbauungs-
schriften) bearbeitete Dr. Brunn, Direktor der Städtischen
Jentralbibliothek in Dresden, das weitere besorgte der Bib-
liothekar der Stände, Dr. Hoppe. So gingen schon im ersten
Jahre über 170 000 Druckschriften ins Feld; ein Teil davon
war durch die in den höheren Schulen des Landes veran-
staltete „Kriegsbuchwoche“ aufgebracht worden. Den Dank
bezeugten viele Zuschriften:
Was unser Wunsch im stillen längst begehrt,
Habt ihr uns freundlich da beschert.
Für beitere, für ernste Stunden
Hat jeder seinen Teil gefunden.
Ein jedes Buch, wie ihr es aufgeprägt,
Uns Heimatgrüfe in die Fremde trägt.
So webt sich fester stets das Band,
Das uns verknüpft dem Vaterland.
(Feld-Art.-Reg. 64, 3. Batt. 8. Juni 1915.)
Der Kriegsgefangenen nahm sich die Universität Leipzig
an. Auf Anregung des Geheimrat Professor Dr. A.
Köster wurde bei ihr eine „Sammelstelle von Bü-
chern für Gefangenenlager in Frankreich“ be-
gründet. In Ergänzung der von Berlin aus in die Wege ge-
leiteten Versorgung der Kriegögefangenen mit Lesestoff arbei-
tete die Leipziger Sammelstelle zusammen mit der bei der
Deutschen Gesandtschaft in Bern unter Leitung von Professor
Dr. Woltereck (aus Leipzig) tätigen Zentralstelle für Ge-
fangenenfürsorge in Frankreich und Italien sowie mit den
vier schweizerischen Hochschulbomitees in Basel, Bern,
Freiburg und Zürich. Hauptaufgabe war, die eingehenden
Einzelwünsche der Gefangenen nach mehr oder minder klar
bezeichneten Büchern, insbesondere nach Schriften wissen-
schaftlicher Art, soweit es bei der Kriegslage möglich war,
zu befriedigen; doch wurden auch Lehrbücher, unterhaltende
Literatur und Musikalien an viele Lagerbibliotheken zu
allgemeinem Gebrauch gesandt und die dort eingerichteten
Lehrkurse nach Kräften gefördert. Die Leitung der Leipziger
Sammelstelle, insbesondere auch die Beschaffung der finan-
ziellen Mittel, besorgte Professor Köster selbst, den Verkehr
mit den Buchhandlungen Professor R. Kötzschke; für die
Sekretariatsgeschäfte war Frau Dr. Marshall gewonnen.
Die Bücherwahl lag einem Ausschuß von Universitäts=
dozenten ob.
2. Hochschulen und Wissenschaft.
Wenn der Waffenlärm tost, schweigen die Musen. Mußte
sich nicht die Wahrheit dieses Spruchs, während der furcht-
barste Krieg der Weltgeschichte Deutschland umbrandete,
an Sachsens Hochschulen erfüllen? Gewiß, die hohen Hal-
len, in denen sonst die eifrigen Jünger der Wissenschaft in
so stattlichen Scharen aus= und eingingen, die wohleinge-
richteten Arbeitsstätten für eigene fleißige Forschung wur-
den öde und still. Aber die sächsischen Staatsbehörden in
Übereinsiummung mit den verantwortlichen Stellen an den
Hochschulen selbst entschieden dafür, daß es Ehre und Pflicht
sei, den Hochschulbetrieb trotz der Kriegsschwierigkeiten auf-
rechtzuerhalten: wer nicht zu den Waffen gerufen war,
wer als Kriegsverletzter heimkam, dem sollte es möglich
sein, seinem Studium obzuliegen, wenn auch draußen die
Kameraden noch in heißem Kampfe für die Rettung der
Heimat standen. Der Weltkrieg mit all seinen Opfern und
Schrecken hat Sachsens Hochschulen nicht niederzuzwingen
vermocht; das wird ein Nuhmesblatt in der Geschichte des
geistigen Lebens in Sachsen während der großen Kriegs-
zeit bleiben. «
Als der Krieg ausbrach, war die Universität Leipzig
im Begriff, ihre gewöhnlichen Ferien= zu beginnen; ein
großer Teil der Studierenden war schon abgereist. Eine
gemeinsame Kundgebung fand nicht statt; doch noch ehe
die letzte Entscheidung gefallen war, hatte wohl ein jeder
Universitätslehrer ernste und herzliche Worte des Abschieds
an seine Kommilitonen gerichtet, in zündender Rede vor
dichtgedrängter Schar oder in schlichter Ansprache an einen
schon gelichteten Kreis der Lauschenden, voll kräftigster
Entschlossenheit, dem Vaterland das Opfer des „heiligen
Frühlings“ zu bringen, zugleich mit dem festen Gelübde,
daß auch die Daheimbleibenden mit Einsetzung aller Kraft
auf ihrem Posten stehen werden: „Und wenn der Erdkreis
zusammenstürzt, wir bleiben furchtlos und treu.“ Erst
bei der viel schlichter als sonst gehaltenen Feier des Rek-
toratswechsels am 31.Oktober 1914 war Gelegenheit ge-
boten, die großen Gemeingefühle der Universität bundzutun,
als Geheimrat Professor Dr. jur. Otto Mayer das Rektorat
seinem Nachfolger übergab und nun der neue Rektor, Ge-
heimrat Professor Dr. Alb. Köster, in großzügiger Rede über
„die Universitäten und den Krieg“ sprach, nach weitem ge-
schichtlichen Uberblick mit tiefempfundenem Ausdruck des
geistigen Erlebens der in ihrer Art wahrhaft großen Gegen-
wart und am Schluß mit dem zuversichtlichen Blick auf
die Zukunft der Hochschulen: „wenn wieder Friede im Lande
ist, dann kommt unsere Zeit.“
Doch auf den ersten und zweiten Kriegsrektor folgten
noch drei (von Strümpell, W. Stieda, N. Kittel); die Uni-
versität eingedenk, daß die Zeit von ihr manchen Verzicht
fordern werde, richtete sich auf den Kriegszustand ein.
Aufs schwerste wurde sie in der Tat von der allgemeinen
Volksnot mit betroffen; denn beine Gruppe der ganzen Be-
Lölkerung hat einen gleichen Anteil an Todesopfern gebracht,
wie die ihrer Obhut anvertraute Schar blühender Jüng-
linge, aus der die geistigen Führer des Volkes hervorgehen
sollten. Wie einst in den Tagen der Freiheitskriege war auch