Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Vorkämpfer für geistige Freiheit hatte die volkstümlichste 
Bewegung geistiger Art in der deutschen Geschichte hervor- 
gerufen. Sollte er, Martin Luther, dessen Lieder soeben 
Hunderttausende mit vorher nie gekannter Inbrunst ge- 
sungen hatten, nicht etwas Besonderes zu sagen haben, in 
solcher Zeit, da der alt böse Feind, von außen und innen, 
mit groß Macht und viel List auf Erden ohnegleichen 
dräute? So wurde denn die Feier in Sachsen, im Ur- 
sprungolande der Reformation, überall gehalten: mit Ge- 
denkpredigten schon im Verlaufe des Jahres, mit kirch- 
lichen Gottesdiensten, mit geistlicher Musik, wobei sich die 
beiden noch von alter geit bestehenden „Kurrenden“, der 
Dresdener Kreuzkirchenchor und die Leipziger Thomaner 
auszeichneten, mit Bühnenfesispielen (eindrucksvoll das von 
Fr. Lienhard) und Aufführung lebender Bilder, natürlich 
auch mit vielen Schriften wissenschaftlicher und volbsmäßi- 
ger Art. Ohne äußeres Gepränge war es doch eine wirk- 
liche Herzstärkung in schwerer Zeit. Eine Reformations- 
dankstiftung wird das Gedächtnis dieses eigenartigen Re- 
formationsfestes inmitten des Weltkrieges den Nachkommen 
lebendig erhalten. 
Den evangelischen Glaubensgenossen im Ausland hatte 
seit langem der Gustav-Adolf-Verein, dessen Be- 
strebungen einst von Leipzig ausgegangen waren, eine eif- 
rige Tätigkeit gewidmet. Während des Krieges taten sich 
neue Möglichkeiten der Fürsorge in den von deutschen Trup- 
pen besetzten Gebieten auf; unter Leitung von Geh. Kirchen- 
rat Professor Rendtorff nahm man sich dieser Aufgaben an, 
um eine festere Organisation der evangelischen Kirche in 
jenen Ländern der Diaspora durchzuführen. Eine große 
Versammlung in Leipzig, in welcher Vertreter aus Lioland, 
Polen, Siebenbürgen und Numänien sprachen, brachte die 
augenblickliche Lage verheißungsvoll zum Augdruck. Un- 
günstig stand es mit der Pflege der äußeren Mission 
durch den Sächsischen Hauptmissionsverein und das Leip- 
ziger Missionshaus bei der von den Gegnern Deutschlands 
eingenommenen Haltung; eine schmerzliche und doch dank- 
erfüllte Stunde war es, als die indischen Missionare, in 
ihre weißen Gewänder gehüllt, nach ihrer Heimkehr in feier- 
lichem Begrüßungsabend in der dichtgedrängten Nikolai- 
kirche zu Leipzig willkommen geheißen wurden. 
Endlich noch eine Bemerkung über die Art des reli- 
giösen Erlebene der Sachsen im Kriege; ein Büch- 
lein, von Pfarrer A. Neuberg und Pastor Er. Stange 
herausgegeben, „Gottesbegegnungen im Weltbrieg“, gibt 
darüber lehrreiche Auskunft. Es zeigt sich, daß den Sachsen, 
mehr als anderen deutschen Stämmen, Mitteilsamkeit in 
bezug auf solche Erlebnisse eigen ist, eine Neigung zu be- 
schreibender Erzählung, zur Ausschmückung, aber auch nach- 
denklich kritische Selbstbeobachtung; Unterschiede der Sach- 
sen im meißnischen Niederlande, der Erzgebirgler und der 
Lausitzer sind dabei festzustellen. Sicher hat der Krieg als 
ein die Seele erschütterntes Ereignis manche Erweckung von 
Gottesfurcht und Frömmigkeit im Volke bewirkt; freilich, 
fragt man nach der Frucht sittlicher Läuterung und Bewäh- 
rung, so wird es heißen müssen, wie im Gleichnis Jesu: 
etliches fiel an den Weg, etliches unter die Dornen, etliches 
aber auf ein gut Land und trug Frucht, etliches hundert- 
fältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfältig. 
6. Die Pflege der Volksbildung 
Ein Volkserlebnis von der Stärke und Tiefe, wie es 
der Krieg 1914/18 war, der alle Musbeln und Nerven, 
alle Kräfte des Verstands und Gemüts aufs dußerste an- 
spannte, mußte von größter Bedeutung für alles, was 
Volksbildung heißt, werden; denn was will Bildung anders, 
als die Entwicklung aller im Menschen liegenden Fähig- 
keiten zur Leistung des Höchsten und Besten, was ihm mög- 
lich ist, zum echten und wahren Ausdruck des Innerlichsten, 
was ihn beseelt? Alle Einrichtungen des Bildungswesens 
in Staat und Gemeinde hatten unter den Kriegsfolgen zu 
leiden; die Fragen nach Ziel und Wert der Bildung wurden 
bei dem erschütternden Ernst der Zeit aufs neue lebendig, 
Schäden der bisherigen Volksbildung wurden offenbar, neue 
Möglichkeiten und Aufgaben erschlossen sich in Fülle. 
Eine unbedingte Notwendigkeit war es, das Schul- 
wesen Sachsens nach Kräften auf der Höhe, die es vor 
dem Kriege eingenommen hatte, zu erhalten. Die oberste 
Behörde des Landes, das Königlich Sächsische Ministerium 
des Kultus und öffentlichen Unterrichts, und ebenso die 
Schulverwaltungen der Gemeinden trafen Maßnahmen, um 
die Durchführung des Schulbetriebs trotz aller Hemmungen 
zu sichern, Erleichterung zu schaffen, wo es irgend angängig 
war, und alles Ungewöhnliche, was der Kriegszustand er- 
heischte, zu regeln. Die Lehrerschaft der höheren Schulen 
wie der Volksschulen Sachsens kam den an sie gestellten 
Anforderungen in willigster Selbstaufopferung, mit großer 
Umsicht und vollem Versiändnis für alles, was in solcher 
Jeit förderlich sein konnte, entgegen. Nicht nur der einzelne 
leistete mit Aufbietung der letzten Kraft, was er für Staat 
und Gemeinde, für die seiner Obhut anvertraute Jugend 
zu tun vermochte; auch die bestehenden Vereinigungen in 
den verschiedenen Gruppen der gesamten Lehrerschaft des 
Landes nahmen sich der neu gestellten Aufgaben sozialer wie 
pädagogischer Art mit großer Tatkraft an; was die Kriegs- 
ausschüsse des Sächsischen Lehrervereins und seiner bedeu- 
tendsten Ortsgruppen vollbrachten, war wirklich eine be- 
wundernswerte Leistung, über die eigenen Reihen hinaus von 
glücklichem Erfolg begleitet für weitere Kreise der Bevölke- 
rung. 
Für keine der im geistigen Leben wirkenden Berufs- 
gruppen waren die Einberufungen in den Heeresdienst so 
zahlreich, wie für die Lehrerschaft an den Gymnasien und 
Realschulen wie an den Volksschulen. Ungewöhnlich reich 
war daher die blutige Opfersaat, die aus diesem geistig hoch- 
stehenden Kreise der sächsischen Bevölkerung draußen auf 
dem Felde der Ehre eingestreut wurde. In der Heimat 
mehrte sich die Arbeitslast gewaltig; ja es machte sich die 
Erschtverung um so fühlbarer, als die vielfachen Störungen 
durch die Notprüfungen, die häufigen schulfreien Tage, 
durch Hilfsdienst der Jugend für vaterländische Notstands- 
arbeit, Bereitstellung der Schulräume für allerhand mili- 
tärische und soziale Zwecke, endlich auch durch die unver- 
meidlichen Beschränkungen von Licht und Wärme einen 
regelmäßigen und geordneten Schulbetrieb nicht mehr 
ermöglichten. So wurde es nötig, den Lehrkörper einer 
Schule, wo vielleicht ein Drittel der Lehrenden und mehr 
abgerufen waren, durch Amtsgenossen von Schwester- 
anstalten oder durch junge, noch nicht voll ausgebildete 
Hilfskräfte zu ergänzen; ein besonderes Verdienst erwarben 
sich dabei ältere Lehrer, die von neuem die Mühen des Un- 
terrichts auf sich nahmen, und manche schon aus dem 
Amte geschiedenen Lehrerinnen, die jetzt in der Not des 
Vaterlands, mitten in hauofraulichen Sorgen, wieder un- 
verdrossen Schuldienst verrichteten. Auch die sonst so wohl- 
eingerichtete Schulordnung mußte sich schwankende An- 
passungen an den Kriegszustand gefallen lassen. Klassen 
wurden zusammengezogen, der Lehrstoff gekürzt und anders 
iim Jahre verteilt. Die Unterrichtsmittel, Schulbücher und 
Schreibpapier litten unter der allgemeinen Knappheit. Aber 
wenn auch stete Unruhe in den Lehrbetrieb kam und es 
manchmal nicht so genau genommen werden konnte, wie 
gewissenhafte Pädagogik zu fordern gewohnt war, wenn 
auch die Findigkeit manches Aushilfsmittel beschaffen mußte 
und hier und da selbst die vergessene Schiefertafel wieder 
ihren Dienst tat, dennoch — es wurde durchgehalten; und 
mehr als dies, manche treuen Lehrer und Lehrerinnen, be-
	        
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