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daß eine Uberwachung der Sendungen eingeführt wurde zum
Zwecke der Verhinderung von Spionage, eine Maßnahme, die
weitgehenden Einfluß auf Handel und Industrie ausüben
mußte usw. Es ist nicht Aufgabe dieser Jeilen, eine
vollständige Darstellung dieser Verordnungen zu geben,
ihre Zahl war bereits in den ersten Kriegswochen eine sehr
große, und sie ist ja nach und nach ins Ungeheure gewachsen,
so daß die Gesamtziffer der Kriegsverordnungen sich sicher-
lich auf viele Tausende beläuft und in ihrer Zusammen-
stellung einige stattliche Bände ausmacht. Ihr Zweck war, wie
erwähnt, zunächst eben der, die wirtschaftlichen und
Rechtsgrundlagen des Wirtschaftslebens, des Verkehrs,
der verschiedenen Verhältnisse auf allen Gebieten der Wirt-
schaft, Handels= und Sozialpolitik den völlig veränderten
Verhältnissen des, wie man damals allgemein annahm,
kurzen Krieges anzupassen und damit wieder Beruhigung
und Ordnung zu schaffen, ein Ziel, das ja allmählich auch
erreicht wurde, wie die immer schneller sich vollziehende
Wiederbelebung von Industrie und Handel beweist.
So stellte sich denn allmählich auch der Bedarf auf
dem Inlandsmarkte wieder ein. Man begann, wenn
auch zunächst vorsichtig, wieder zu bestellen, Lieferungs-
verträge einzugehen und laufende oder unterbrochene zu er-
füllen. Gemeindeverwaltungen, Staats= und Reichsregie-
rung ließen Notstandsarbeiten in größerem Umfange
durchführen, und die bald einen großen Umfang an-
nehmende Versorgung des Heeres mit Liebesgaben
brachte ebenfalls Aufträge an eine ganze Reihe von In-
dustrien. Insbesondere stellte sich aber schon kurz nach
Kriegsausbruch heraus, daß eine bedeutende Vermehrung
des Heeres erfolgen müsse und die Ausrüstung, Unter-
haltung und Verpflegung dieser Millionen von Kämpfern
zu Lande, zur See und in der Luft brachte Aufträge an die
Industrie in einem Umfange, den wohl niemand vorher
geahnt hatte. So begann denn auch die sächsische Industrie
sehr bald, sich für Heeresaufträge zu interessieren,
schon im September und Oktober 1915 in einem Umfange,
der damals noch gar nicht befriedigt werden konnte. Denn
da nur bestimmte Artikel gebraucht wurden, und zwar sehr
schnell bei der damaligen Dringlichkeit des Heeresbedarfes,
so konnten nur bestimmte Industriezweige sofort beschäf-
tigt werden und auch hier nur die Betriebe, welche darauf
eingerichtet waren oder sich sehr schnell einrichten ließen.
Das Vorhandensein von Rohstoffen, bestimmten Maschinen,
eingerichteten Arbeitskräften war erforderlich, weil die Auf-
träge in kürzester Frist erledigt werden mußten. Leider
war für einen Teil des Heeresbedarfes die sächsische In-
dustrie damals noch nicht ausreichend eingerichtet. Der große
Bedarf an Beschlägen und gewissen Gesenkschmiedearbeiten
z. B. konnte damals in Sachsen nicht gedeckt werden, weil
die hierfür erforderlichen Betriebsanlagen nicht vorhanden
und nur mit großen Opfern an Zeit und Geld zu beschaffen
waren. Für andere Artikel, die in einer großen Jahl säch-
sischer Betriebe vielleicht herstellbar gewesen wären, erwies
sich die in den ersten Monaten des Krieges große Dringlich-
keit des Bedarfes als hinderlich, die die militärischen Stellen
veranlaßte, die Waren dort zu bestellen, wo man schnelle
Lieferung in Aussicht stellte. Darum fanden in diesen ersten
Monaten nur verhältnismäßig wenig sächsische Betriebe Be-
rücksichtigung, namentlich auch nur wenig Betriebe der fein
spezialisierten sächsischen Metall= und Maschinen-=
industrie, deren Arbeitslosenzahl noch im Oktober 1914
hohe Ziffern aufwies. Was auf dem Weltmarkte ihre
Stärke war, die besondere Einrichtung auf bestimmte Spe-
zialitäten, erwies sich vielfach für einen raschen ÜUbergang
auf Heeresartikel hinderlich. Teilweise haben sich aber doch
Fabriken des Metallgewerbes auf Herstellung von Bedarf
für Hecresausrüstung sehr schnell eingerichtet, so z. B.
Gießereien, Wagenbauanstalten, Betriebe mit großen
Schmiedewerkstätten, Aluminium-, Blech-, Emaillierwerk-
stätten und Werkstätten für Eisenbonstruktion, und diese
Betriebe waren sofort gut beschäftigt. Wenig Verwendung
dagegen fanden in dieser Zeit noch die Erzeugnisse der aus-
gedehnten sächsischen Holzindustrie, in welcher daher
in dieser Zeit noch eine bedeutende Auftragslosigkeit
herrschte. Neben der Metallindustrie, dem Bau= und dem
Transportgewerbe zeigte sie die höchste Arbeitslosenziffer.
Um vieles günstiger lagen die Verhältnisse in den In-
dustriezweigen, die ihrer Natur nach sofort für Heeres-
lieferungen in Frage kommen mußten, wie die Herstellung
grober Wirkwaren, die Wollwarenfabrikation, die Tuch-
fabriken, Wolldecken= und Schubfabrikation, das Nahrungs-
und Genußmittelgewerbe, die Lederindustrie usv. Natur-
gemäß hob sich auch die Beschäftigung in den zahlreichen
Betrieben, die Halb= oder Teilfabrikate für die obengenannten
Industriezweige herstellten: Spinnereien, Lederfabriken usw.
Die dritte Periode
Anpassung an die Kriegsverhältnisse, Umssellung auf die Arbeit für
das Heer
Nach Uberwindung der in den ersten Kriegsmonaten
eingetretenen Verwirrung und der Einstellung auf die durch
den Krieg veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, ins-
besondere, nachdem man sich mit der Abschneidung von
großen Gebieten der Weltwirtschaft einigermaßen abgefunden
hatte, richtete sich das wirtschaftliche Leben auf dieser be-
schränkten Basis ein, die sich erstreckte auf die noch neutralen
Staaten, zu denen in dieser Zeit auch noch Amerika, Rumänien
und Italien gehörte, und auf die verbündeten Mächte. Mit
Rücksicht darauf, daß der Erport auch nach diesen Ge-
bieten aus Kriegonotwendigkeiten wesentlich beschränkt wer-
den mußte, stellte sich die früher weltwirtschaftlich gerichtete
deutsche Volkswirtschaft auf eine vorzugsweise den Binnen-
markt versorgende Wirtschaft ein. Deutschland wurde damit
im Laufe des Krieges mehr und mehr ein sogenannter „ge-
schlossener Wirtschaftsstaat“. Es trat ein verstärkter Privat=
bedarf hervor, und wo dieser nicht auftrat oder nicht be-
friedigt werden konnte, wendete die sächsische Industrie ihr
Interesse den Heereslieferungen zu. Umstellungen und
Anpassungen der Betriebe auf andere Rohstoffe und Be-
triebsmaterialien, die in den späteren Jahren des Krieges
sehr häufig notwendig wurden, wurden in dieser Periode
noch verhältnismäßig wenig gefordert. Die Einfuhr aus
dem neutralen Auslande war noch vielfach ohne be-
sondere Schwierigkeiten möglich, Vorräte aller Art an
Rohstoffen und Warenbeständen waren noch in erheblichem
Umfange vorhanden, die Beschlagnahmen wurden, wo
sie angeordnet waren, noch nicht so bemerkbar und wirksam,
weil man ja seitens der militärischen Stellen in dieser Nich-
tung anfangs auch noch nicht so scharf vorging, immer dar-
auf bedacht, das wirtschaftliche Leben in so großem Umfange
wie möglich in Gang zu halten. Da die Preise der Einfuhr=
produkte, von der Aufsicht des Staates noch nicht kon-
trolliert, stiegen, der Geldwert aber infolge der be-
ginnenden Geldverschlechterung (Inflation — Zahlungsmittel-
vermehrung) sank, so stiegen allmählich auch für die säch-
sischen Verarbeitungsindustrien die Gewinnmöglichkeiten. Das
anfängliche Uberangebot von Arbeitern begann sich infolge
der vermehrten Einberufungen zum Heer und der Beschrän-
kung der Arbeitozeit in das Gegenteil umzukehren, nament-
lich bei Facharbeitern. Frauen wurden in erheblichem Maße
eingestellt. Verordnungen über Einschränkung der Produk-
tion, Beschlagnahme von Rohstoffen, Eingriffe in den Be-
trieben waren noch verhältnismäßig gering, und man kann
von dieser Periode sagen, daß sie, trotzdem mit der staatlichen
Bewirtschaftung in einzelnen Industriezweigen, so in denen
der Ernährung und der Herstellung des Heeresbedarfes, schon
begonnen wurde (die Bekanntmachung der Kriegsrohstoff-