bedarf sicherzustellen und Betriebe in Gang zu stellen,
die ihre Pforten sonst hätten schließen müssen. So bleibt
trotz aller Mißerfolge dieses industrielle Ersatzverfahren ein
ruhmreiches Kapitel der Volkswirtschaft im Kriege. Bei
aller Genugtuung, die man über die schönen Erfolge der
Ersatzmittelwirtschaft empfinden kann, darf man aber doch
nicht übersehen, daß die Herstellung und das Ausprobieren
dieser Ersatzstoffe teilweise große Kapitalien verschlungen,
viel Energie, Erfindungs- und Arbeitskraft unnütz verbraucht
hat. Der Laie macht sich kaum eine Vorstellung, welche
mühevollen, unendlichen Versuche es beispielsweise gekostet
hat, um Eisen an Stelle von Messing zu verwenden, dessen
elastische Eigenschaften dem Eisen nicht innewohnen, so daß
es sich z. B. nicht auf Ziehpressen lang ziehen läßt. Man hat
es trotzdem fertig gebracht, die messingene Kartuschhülse
z. B. durch die eiserne zu ersetzen, aber diese Fabrikation blieb
umständlich und teuer; ebenso konnte der Nostschutz für
Eisenteile, welche an Stelle von Messing und Nickel traten,
diese rostfreien Metalle nicht ersetzen. So hat denn auch die
Notwendigkeit der umfangreichen Verwendung von Ersatz-
mitteln für den Export dem Nuf deutscher Fabrikate im Aus-
land teilweise geschadet, so daß diese Triumphe der indu-
striellen Kriegsersatzmitteltechnik wirtschaftlich oft sehr teuer
bezahlt sind, und es fragt sich, auch heute noch, ob das, was
aus dieser Ersatzmittelschule des Krieges als dauernder Er-
werb beibehalten werden kann, als bleibende Errungenschaft
der deutschen Wirtschaft im Wettbewerb der Nationen zu bu-
chen ist.
Mit Ende des Jahres 1916 trat jene letzte gewaltige
Kraftanstrengung der deutschen Volkswirtschaft in Er-
scheinung, die unter dem Namen „Hindenburgprogramm"““
und „Hilfsdienstgesetz“ bekannt ist. Dieses Programm sollte
eine Steigerung des für den Heeresbedarf Nottendigen, na-
mentlich an Geschützen, Munition, U-Booten, Waffen, Flug-
zeugen ustv. bringen. Bei der allgemeinen Knappheit der
Rohstoffe war dies aber nur möglich, wenn eine empfind-
liche Einschränkung der industriellen Erzeugung
auf allen Gebieten der industriellen Produktion eintrat, deren
Erzeugnisse nicht unbedingt für Heer und Marine oder
für den rationierten Bedarf der Bevölkerung notwendig
waren. Vor allem mußte, mit Rücksicht auf den immer
stärker hervortretenden Kohlenmangel und den dadurch
bervorgerufenen Mangel an Gas, elektrischer Kraft und
der sonst aus der Kohle gewonnenen Produkte wie Teer,
Benzol usw., sowie wegen des Fehlens gelernter Facharbei-
ter darauf Bedacht genommen werden, die Erzeugung so
rationell wie möglich zu gestalten, Transporte, Betriebs-
mittel und Menschen zu sparen und nur solche Betriebe
zu beschäftigen, bei denen für diese Notwendigkeiten be-
sonders günstige Bedingungen, hohe technische Vollkommen=
heit, frachtgünstige Lage usw., vorhanden waren. Das führte
zu dem sogenannten System der „Höchstleistungsbetriebe“
und der Einrichtung von Zwangssyndikaten. Es wur-
den sämtliche Betriebe eines Industriezweiges daraufhin ge-
prüft, ob es sich mit Rücksicht auf höchste Steigerung der
Sparsamkeit verlohnte, sie weiter zu beschäftigen. Alle die-
jenigen, die hierbei schlecht abschnitten, wurden stillgelegt
und mußten, dies allerdings nur in einzelnen Industrie-
zweigen, von den weiterarbeitenden Betrieben entschädigt
werden. Nur die Höchstleistungsbetriebe erhielten Noh-
stoffe, Kohlen, Betriebomittel, Facharbeiter, Aufträge usw.,
alle anderen schieden aus der Weiterarbeit aus und
wurden teilweise sogar gezwungen, Facharbeiter, Ma-
schinen, Motore usw. anderen, zur Weiterarbeit be-
stimmten Betrieben zur Verfügung zu siellen. Dieses
System hat man in einer ganzen Reihe von Industrie-
zweigen, namentlich auch wieder in der Textilindustrie,
durchgeführt, und es ist daher auch für Sachsen von ganz
besonderer Bedeutung geworden, natürlich im Sinne einer
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noch weiteren Einschränkung der industriellen Tätigkeit. Die
damalige sächsische Regierung hat mit großer Energie ver-
sucht, auch für Sachsen soviel Höchstleistungsbetriebe als
möglich zu erhalten, aber es war bei dem allgemeinen
Wettrennen der Bundesstaaten in dieser Richtung schwer,
den sächsischen Verhältnissen zu entsprechen, zumal ja auch
die Industrie Sachsens nicht in dem Umfange auf den
Krieg umgestellt war, wie dies eigentlich hätte geschehen
können, wenn man ihre Produktionsbraft von Anfang an
richtig ausgenützt hätte. So bedeutete denn diese Periode
des Hindenburgprogramms für Sachsens Industrie einen
weiteren starken Rückgang. Die Artikel, welche durch das
Hindenburgprogramm in ungeheueren Mengen erzeugt wer-
den sollten, kamen mehr der Schwerindustrie, der Groß-
eisenindusirie zugute, die weniger in Sachsen vertreten ist
und hier auch während des Krieges nur eine geringe Aus-
dehnung erfahren hat; anderseits wurde Sachsens Volks-
wirtschaft durch umfangreiche Stillegungen in der Textil-,
Schuh-, Seifen-, Treibriemen= usw. Induflrie außerordent-
lich in Mitleidenschaft gezogen. Gerade die Industriezweige,
denen Kohle, Arbeiter, Maschinen usw. entzogen wurden,
um sie den Heeres= und Höchstleistungsbetrieben zuzutven-
den, sind in Sachsen stark vertreten, und es bedeutete
natürlich für die sächsische Volkswirtschaft eine fühlbare
Einbuße, für die Arbeiter die Notwendigkeit des Abwan-
derns, wenn von den weiterarbeitenden Betrieben nur einige
wenige in Sachsen bestimmt wurden. Es ist bekannt, daß
dar Hindenburgprogramm, das seinen gesetzgeberischen Aus-
druck in dem „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“
fand, so große Erwartungen man daran knüpfte, eine fehl-
geschlagene Hoffnung war. Das Programm ist nicht durch-
geführt worden, und es ist auch nicht gelungen, alle Arbeits-
kräfte die noch im Lande waren, für die Kriegsarbeit
in der Heimat mobil zu machen, wie das Hilfsdienst-
gesetz es wollte, indem es unter gewissen Bedingungen
einen Zwang zur Arbeit für die Durchführung des Hinden-
burgsprogramms aussprach. Deutschlands Wirtschaft und
das Volk waren schon zu sehr erschöpft, um die gewaltigen
Leistungen vollbringen zu können, die das Hindenburgpro-
gramm verlangte, das der letzte Versuch war, gegen die
industriellen Leistungen der ganzen Welt, Englands, Frank-
reichs, Amerikas, Japans, die Kräfte der deutschen Indu-
strie bis zur äußersten Anspannung zu mobilisieren. So
Großes und Bewundernswertes die deutsche Industrie im
Kriege geleistet hat, der Industrie unserer Gegner,
die von Rohstoffen aus der ganzen Welt gespeist wurde
und die Arbeitskräfte der ganzen Welt für sich heranziehen
konnte, die gleiche Leistung gegenüberzustellen, war in der
Periode, bis zu der schon so ungeheuere Kraftleistungen
vollbracht worden waren, nicht mehr möglich. Dazu kam,
daß die Wirtschaft, durch die immer enger ihre Maschen
schließende Kriegszwangswirtschaft gelähmt wurde und damit
die Bewegungsfreiheit der Industrie fast völlig verloren war.
Längst waren außer den für das Heer nötigen Bedürfnissen
auch die meisten Gebiete der Bedarfsdeckung der Jivilbevöl=
berung in „Bewirtschaftung“ genommen worden. Auf dem
Gebiete der Ernährung war schon außer den Ersatzstoffen
kaum noch etwas Wesentliches unbewirtschaftet. Die Zahl
der Kriegsgesellschaften, Ausschüsse usw. war längst in die
Hunderte hineingewachsen: alles, was die Industrie brauchte,
wurde „bewirtschaftet“, Treibriemen, Schmiermittel, Kohlen,
elektrische Kraft, der größfte Teil aller Rohstoffe, viele andere
Bedarfsgegenstände der Industrie, sogar Verpackungsmate-
rial, wie Säcke, Fässer, hatten ihre Kriegsgesellschaft in den
Reichssack= und Faßstellen erhalten, und es war schon kaum
mehr möglich, in einer Fabrik ein Rad in Bewegung zu
setzen, ohne Dutzende von Formularen ausfüllen und 10 bis
15 Kriegögesellschaften oder Ausschüsse oder wenigstens doch
eine Kriegsamtsstelle in Anspruch nehmen zu müssen. Die