Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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gesamte Volkswirtschaft war zu einer fast alle Branchen 
kontrollierenden Staatswirtschaft geworden. Der Ex- 
port war immer mehr eingeschränkt, auch er war „rationiert“ 
durch Handelsabkommen mit den neutralen Staaten, der 
Schweiz, Holland, den nordischen Staaten, in denen fest- 
gelegt wurde, was diese Staaten uns liefern, sowie was 
Deutschlands Wirtschaft dagegen noch austauschen bonnte. 
Was in diese Kontingente fiel, durfte ausgeführt werden, 
solange das Kontingent nicht erfüllt war. Die Verzeich- 
nisse der Waren aber, deren Ausfuhr überhaupt verboten 
war, weil entweder das Heer oder die Zivilbevölkerung An- 
spruch auf Versorgung mit diesen Waren hatte, waren auf 
Tausende von Artikeln angewachsen. Für jeden, der im 
Wirtschaftsleben tätig war, war in dieser Periode ersichtlich, 
in wie hohem Maße Deutschland durch jahrelange, rücksichts- 
lose Blockade wirtschaftlich abgeschnürt war. 
Zur Durchführung des Hilfsdienstgesetzes und des Pro- 
gramms wurde auch wiederum eine Neuorganisation, das 
„Kriegvamt“ gegründek und in das Netz der be- 
stehenden Kriegsgesellschaften soweit möglich, eingeordnet. 
Dem zentralen Kriegsamt in Berlin unterstanden die 
Kriegsamtstellen in den Bezirken der einzelnen Gene- 
ralkommandos, Amter, die militärisch organisiert waren 
und weitgehende Befugnisse wiederum auch für Eingriffe 
in das industrielle Leben und die gewerbliche Produktion 
besaßen. Sie sollten insbesondere die Versorgung der für 
den Heeresbedarf arbeitenden Betriebe mit allem Nötigen 
unternehmen, Schwierigkeiten, die sich hierin einstellen wür- 
den, beseitigen und nach Möglichkeit auch der für den Er- 
port arbeitenden Industrie Hilfe leisten. Sie besorgten wei- 
ter die Beschaffung der Facharbeiter, die Heranziehung der 
Hilfsdiensipflichtigen, die Verpflanzung von Arbeitern aus 
einem Betriebe in den anderen, die Uberführung von Maschi- 
nen aus stilliegenden Betrieben in weiterarbeitende, die 
Erleichterung von Transporten und auf sozialpolitischem 
Gebiete die Einrichtung der Schlichtungsausschüsse, 
in denen Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeit- 
nehmern und besonders Differenzen aus dem Hilfsdienst- 
gesetze erledigt werden sollten, eine Einrichtung, die von 
weittragender Bedeutung für die damalige Zeit sowohl wie 
für die Zukunft war. Für die Zentralisierung der Beschaf- 
fung des Heeresbedarfs wurde das „Wumba“, das Waf- 
fen= und Munitionsbeschaffungsamt gegründet, das wohl 
die größte Zentral-Beschaffungs-Behörde gewesen ist, die 
überhaupt geschaffen wurde: sie arbeitete mit einem Per- 
sonal von 800 Menschen. Die sächsische Industrie hat 
sich den Gedanken des Hilfödienstgesetzes mit voller 
Opferwilligkeit zu eigen gemacht und sich in den 
Dienst des großen Gedankens gestellt, von dem man damals 
erwartete, daß er die letzte große Kraftanstrengung der 
deutschen Heere und des deutschen Wirtschaftslebens ermög- 
lichen würde. Industrielle haben bei der Durchführung des 
Gesetzes mitgewirkt, seine Härten für die Industrie zu 
mildern gesucht und auf einer außerordentlichen Hauptoer- 
sammlung des Verbandes Sächsischer Industriel- 
ler wurde am 3. Dez. 191 in einer Resolution ausgesprochen: 
„Die heutige Hauptversammlung des Verbandes Säch- 
sischer Industrieller begrüßt die erfolgte Annahme des Ge- 
setzes über den vaterländischen Hilfsdienst trotz der dadurch 
gerade der sächsischen Industrie auferlegten Schtwierigkei- 
ten mit vollster Genugtuung, weil sie in der höchsten 
wirtschaftlichen Kriegsbereitschaft die beste Gewähr einer 
baldigen siegreichen Beendigung des Krieges erblickt. Inner- 
halb des Nahmens des Gesetzes erachtet sie eine Rücksicht- 
nahme auf die Aufrechterhaltung der Ausfuhrmöglichkeit 
nach den neutralen Ländern ebenso für geboten wie die Er- 
haltung eines ausreichenden Stammes von Facharbeitern 
für den Einzelbetrieb, um den Ubergang zur Friedenswirt- 
schaft sicherzustellen. Bei der Durchführung des Gesetzes 
fordert sie, daß neben der Errichtung neuer und der Er- 
weiterung bestehender Munitionsfabriken auch die Umwand- 
lung stillgelegter Betriebe anderer Gesehäftszweige in Werk- 
stätten und Betriebe der Kriegsindustrie erfolgt, um hier- 
durch die Erhaltung der volkswirtschaftlichen Kraft ganzer 
Industriebezirke zu sichern und das Augeinanderreißen der 
Familienbeziehungen der Arbeiter zu verhindern. Sie weist 
dabei auch auf die Tatsache hin, daß in der sächsischen In- 
dustrie und besonders in der Textilindustrie viele Arbeits- 
lose vorhanden sind, welche mit ihren Familien nicht an 
andere Orte verpflanzt werden können, so daß die arbeits- 
gewohnte Kraft, namentlich Tausender von Frauen der 
Munitionsherstellung entzogen werden würde, wenn die 
Einrichtung neuer Munitionswerkstätten in diesen Gebieten 
nicht erfolgt.“ 
Bei alledem war es eine merkwürdige Erscheinung, daß 
gerade in dieser letzten Periode des Krieges die Kauflust 
und die Kaufkraft weiter Kreise der Bevölke- 
rung sehr gewachsen war. Wenn das auch einmal damit 
zusammenhing, daß man in den ersten Kriegsjahren mit 
der Deckung des Bedarfs zurückgehalten hatte, so war doch 
der Hauptgrund die gewaltige Vermehrung der Jahlungs- 
mittel, die Steigerung der Löhne, die vielfachen — übrigens 
nicht auf einen kleinen Kreis beschränkten — Gewinne durch 
die Kriegskonjunktur, namentlich durch die Zwischenhändler, 
Schieber und die Masse der sogenannten „Kriegsgewinnler“, 
d. h. derjenigen, die ohne produktiv tätig zu sein, durch 
besondere Umstände mehr verdienten, als vor dem Kriege. 
Daneben wirkte der Warenhunger, der sich einstellte, weil 
man, immer in der Hoffnung auf ein baldiges Ende des 
Krieges, die Bedarfsdeckung hintangehalten hatte, und man 
nach mehrjährigem Gebrauch ohne Bedarfsdeckung die ent- 
standenen Lücken zu füllen hoffte. Die Preise für die ein- 
fachsten Artikel des Lebensbedarfes gingen durch diese ver- 
stärkte Nachfrage und das gleichzeitige Vorhandensein großer 
Mengen von Papiergeld immer mehr in die Höhe, wurden 
aber gleichwohl angelegt; man kaufte und bestellte immer von 
neuem. So berichten denn auch sehr viele sächsische Indu- 
strien in den Jahren 1917/18 von der stürmischen Nach-- 
frage nach allen möglichen Industrieerzeugnissen, und diese 
Nachfrage leerte auch die Läger von solchen Waren, die 
bis dahin als unverkäuflich gegolten hatten. Namentlich 
für Artikel der Tertilindustrie, aber auch der Porzellan-, 
Glas-, Möbel-, Schuh-, Bebleidungsindustrie trat diese 
Kauflust in Erscheinung, und sie hätte zu einer großartigen 
Belebung der Industrie führen können, wenn nicht eben 
der Mangel an Rohstoffen, insbesondere der Kohlenmangel, 
die Produktion immer enger eingeschnürt hätke. Die Unter- 
nehmungslust der Industrie war jedenfalls unvermindert; 
man sieht das deutlich an dem über Erwarten günstigen Ver- 
lauf der Leipziger Messen 1916 und 1017, wo die Jahl der 
Aussteller auffallend gestiegen war, wo große Kollektionen 
von Mustern, die vielfach mit Hilfe von Ersatzstoffen her- 
gestellt waren, die Kauflust der vorhandenen Einkäufer weck- 
ten und wo die Fabrikanten und Händler Aufträge erhielten, 
die ihre Betriebe auf längere Zeit hinaus voll hätten be- 
schäftigen können, vorausgesetzt, daß es möglich war, die 
Rohstoffe und, soweit solche vorhanden waren, die Aus- 
fuhrerlaubnis zu erhalten. 
Während auf der Frühjahrsmesse 1015 2002 Aussteller 
gezählt wurden, wuchs deren Zahl bei der Frühjahrsmesse 
1916 auf 2438, im Frühjahr 1917 auf 2392, im Frühjahr 
1918 auf 3630, die Zahl der Besucher belief sich 19 17 quf 
40 doo, im Herbst 1918 auf 90 während die Zahl der 
ausländischen Besucher im ständigen Steigen begriffen war. 
Die anmeldepflichtige Ausfuhr belief sich im Frühjahr 1917 
nach den Aufzeichnungen des zu Beginn 1917 in Tätigkeit 
getretenen Meßamtes auf 3,8 Millionen Mark, im Herbst 
1917 auf 10,6 Millionen Mark, natürlich nicht nur vom
	        
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