weit, die Interessenten werden sich und ihrer Sache durch
derartige Eingaben kaum nützen.“ Das Generalkommando
erwiderte, und es entschied mit der in jener ersten Kriegs-
zeit überall so wohltuenden, in richtiger, klarer Erkenntnis
des Notwendigen stets den Nagel auf den Kopf treffenden
sachlichen Kürze aller militärischen Mitteilungen und Ver-
fügungen, daß es „keine Bedenken gegen die Abhaltung
der diesjährigen Michaelismesse in Leipzig habe. Daß Aus-
länder (außer aus Österreich-Ungarn) sich an der Messe
beteiligen, sei infolge des mit dem Auslande unterbrochenen
Verkehrs ausgeschlossen. Dem darniederliegenden Handel
Mittel und Wege nicht ganz zu unterbinden, sei schon im
Interesse der einheimischen Bevölkerung geboten. Dem
feindlichen Auslande aber könne es nur in einem gewissen
Sinne imponieren, wenn wir uns im Gefühle unserer
Sicherheit darin nicht stören lassen, Handel und Verkehr
weiter bestehen zu lassen.“ Welch prächtiger, praktisch-
volbswirtschaftlicher Sinn einer hohen militärischen Stelle!
Und der Nat der Stadt Leipzig? Er, auch er ging ruhig
und sicher den Weg, den allein er für den richtigen er-
kannte. Die Messe wurde abgehalten, allerdings wurde ihr
Beginn um zwei Wochen verschoben, nämlich auf den Sonn-
tag, den 13. September 1914. Demzufolge mußte natürlich
auch die Ledermesse und die Meßbörse für Lederindustrie auf
den folgenden Mittwoch, den 16. September, verlegt werden.
Eine Außerung des Rates ist es, die man, will man
die Leipziger Messen der „Großen Zeit“ schildern, nicht
umgehen darf. Sie ist die Begründung seiner Stellung-
nahme vor den Stadtverordneten. In ihr heißt es:
„Was nun die Frage anlangt, ob wir die Messe abhalten
sollen oder nicht, so mußten wir uns nach reiflichster
Erwägung in ersterem Sinne entscheiden. Einmal konnten
woir die jetzige Geschäftsunlust und den jetzigen Mangel an
Absatz nicht als von solcher ODauer ansehen, daß auch für
das Weihnachtsgeschäft nichts zu erhoffen sei. Im Gegen-
teil meinen wir, daß einerseits schon der Krieg selbst Be-
dürfnisse wachgerufen hat, deren Befriedigung der Industrie
zufällt. Wir erinnern nur an die mannigfachen Liebes-
gaben, die den im Felde stehenden Soldaten zugesandt
werden. Wie mannigfache Gaben der Erquickung werden
nicht schon jetzt versandt, und wie wird sich noch der Bedarf
an allerlei Gegenständen des täglichen Gebrauchs (Wasch-
besteche, Eßbestecke, Taschenapotheken, Taschenlaternen,
Taschenfeuerzeuge u. ä.) immer mehr herausstellen. Zu
dem Inhalt der Liebesgaben gesellt sich aber die äußere
Verpackung. Auch da sind mannigfache Arten denkbar, und
wie groß ist gleichfalls der Bedarf. Weiter aber wird —
der zuversichtlichen Hoffnung dürfen wir gewiß leben —
auch das Weihnachtsfest in den Familien selbst nicht ohne
Gaben gefeiert werden. Und wenn es schließlich auch nur
billige Gaben sind, so wird doch das deutsche Volk die Hand
seiner Kinder nicht leer lassen und wird ihnen das hinein-
legen, wonach sich deren Herz jetzt am meisten sehnt: etwas,
das mit dem Militär zusammenhängt, sei es Spielzeug,
mit dem es sich am Tische beschäftigt, oder solches, mit dem
es beim Bewegungsspiel Soldat und Krieg zu spielen ver-
mag. Also auch nach dieser Richtung scheint uns eine An-
regung für das Meßgeschäft gegeben zu sein. Wenn wir
nun im Widerspruch mit unserer Überzeugung die Messe
abzusagen beim Königlichen Ministerium beantragt hätten,
so würde dies wie eine behördliche Bescheinigung für die
Berechtigung zu schlimmsten Befürchtungen auf wirtschaft-
lichem wie politischem Gebiete gewirkt haben und wäre
geeignet gewesen, in ganz Deutschland Mutlosigkeit und
Verzagtheit zu fördern. Wir glauben unsd den Dank
aller am Wirtschaftsleben beteiligten Kreise
verdient zuhaben, wenn wir die Messe abbalten
lassen und so das Vertrauen in die Zukunft
festigen.“ 6 f
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Es war schließlich nach allem der beste Rat, den die
„Frankfurter Zeitung“ den Gegnern der Abhaltung der
Messe sagte: „Weiter darüber zu diskutieren, hat keinen
Zweck, da die Messe eben erzwungenerweise stattfinden wird.
Mit um so größerer Spannung wird man dem Ergebnis
entgegenblicken.“
Es wird nicht wundernehmen, zu hören, daß nach dem
heftigen Eintreten so vieler gegen die Abhaltung der Herbst-
messe im Jahre 1914 und bei der damale herrschenden Ver-
kehrsnot, sowie bei der allgemeinen mehr als flauen und
doch auch mehr als aufgeregten Stimmung die nun tat-
sächlich am 13. September 1914 begonnene Messe bei weitem
nicht das großzügige Gepräge zeigte, das ihre Vorgänge-
rinnen der Friedenszeit auszeichnete. Sie wäre noch stiller,
noch glanzloser verlaufen, wenn nicht der Mietnachlaß doch
eine immerhin recht stattliche Zahl von Ausstellern be-
wogen hätte, ihre Bedenken fallen zu lassen. Schon das
äußere Stadtbild ließ aber doch unendlich viel von dem ver-
missen, was den Leipziger Musterlagermessen der letzten
zwei Jahrzehnte ihr besonderes Straßengepräge gegeben
hatte. Die Tausende bunter Schilder und Fahnen und son-
stiger Reklamemittel, die sonst an den Häusern der inneren
Stadt und namentlich an den Riesenmeßpalästen so lustig
lockten, der vielsprachige Wirrwarr, der alle Gassen und
öffentlichen Lokale früher durchbrauste, das Durcheinander
mechanischer und nichtmechanischer Musik= und Spiel= und
Sprechinstrumente, das Jagen und Hasten — alles war
auf ein Minimum zusammengeschrumpft, und es gab tat-
sächlich überempfindliche, kriegsnervöse Menschen in Leipzig,
die auch schon dieses geringe Maß Leipziger Meßtrubels als
unwürdig der großen, ernsten Zeit erachteten, in der sie
lebten. Dabei mag dahingestellt bleiben, inwieweit sie und
auch weniger Empfindliche darin recht hatten, daß die
Schaumesse für dieses Mal hätte unterbleiben müssen, ob-
wohl auch sie gegen ihre Vorgängerinnen ein eigentlich doch
nur recht klägliches Bild aufweisen konnte. Vor allem
aber, wo war der berühmte Leipziger Meßreklameumzug
geblieben? Sonst eine straßenlange Schlange lustig kostü-
mierter Mummenschanzler, zum Teil in Tiergestalt, bunt
und neckisch, bescheiden und protzig einzelne Meßaussteller
und ihre Fabrikate auspreisend, oft mit Glocken= oder
Schellengeläut — jetzt ein kleiner, stiller Trupp nur noch,
dem man kaum Beachtung zgollte.
An einen normalen Verkehr und Verkauf war von vorn-
herein nicht zu denken. Man schätzte die Zahl der ausstellen-
den Besucher auf etwa 300 Firmen, und auch die Zahl der
Einkäufer war nicht mit der früherer Messen vergleichbar.
Trotz des sehr schwachen Besuches der Messe darf man
sie doch nicht allzu ungünstig beurteilen, sie nicht schlechter
machen, als sie in Wahrheit gewesen ist. Man darf vor
allem nicht aus den Augen lassen, daß ja zu den Herbst-
messen stets ein weit kleinerer Zustrom von Ein= und
Verkäufern gekommen war, als zu den Östernvormessen.
Im allgemeinen handelte es sich von jeher auf den Herbst-
messen mehr um die sogenannte Detailkundschaft, die
Grossisten zogen immer die Ostervormesse vor. Daß vor
allem solche Artikel Zugkraft bewiesen, die in irgend-
welcher Weise mit dem damals noch sehr jungen Kriege in
Zusammenhang standen, ist begreiflich, wenn auch auf
diesem Gebiete die allgemeine Geschäftslage und Geldknapp-
heit hindernd wirkten. Jedenfalls zeigte der Verlauf, daß
der Rat der Stadt durchaus recht gehabt hatte, wenn er
behauptet hatte, daß gewisse praktische Gebrauchsartikel
für den Schützengraben und Spielzeug in Kriegsaufmachung
der Messe ein besonderes Gepräge geben würden. Auch
die Papier-, Kartonnagen= und die Postkartenbranchen
hatten recht gut ausgestellt, und so manche Firmen haben
recht befriedigende Aufträge ihr Kommen zur ersten Kriegs-
messe nicht bereucn lassen. Selbst das Ausland hatte sich