Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

weit, die Interessenten werden sich und ihrer Sache durch 
derartige Eingaben kaum nützen.“ Das Generalkommando 
erwiderte, und es entschied mit der in jener ersten Kriegs- 
zeit überall so wohltuenden, in richtiger, klarer Erkenntnis 
des Notwendigen stets den Nagel auf den Kopf treffenden 
sachlichen Kürze aller militärischen Mitteilungen und Ver- 
fügungen, daß es „keine Bedenken gegen die Abhaltung 
der diesjährigen Michaelismesse in Leipzig habe. Daß Aus- 
länder (außer aus Österreich-Ungarn) sich an der Messe 
beteiligen, sei infolge des mit dem Auslande unterbrochenen 
Verkehrs ausgeschlossen. Dem darniederliegenden Handel 
Mittel und Wege nicht ganz zu unterbinden, sei schon im 
Interesse der einheimischen Bevölkerung geboten. Dem 
feindlichen Auslande aber könne es nur in einem gewissen 
Sinne imponieren, wenn wir uns im Gefühle unserer 
Sicherheit darin nicht stören lassen, Handel und Verkehr 
weiter bestehen zu lassen.“ Welch prächtiger, praktisch- 
volbswirtschaftlicher Sinn einer hohen militärischen Stelle! 
Und der Nat der Stadt Leipzig? Er, auch er ging ruhig 
und sicher den Weg, den allein er für den richtigen er- 
kannte. Die Messe wurde abgehalten, allerdings wurde ihr 
Beginn um zwei Wochen verschoben, nämlich auf den Sonn- 
tag, den 13. September 1914. Demzufolge mußte natürlich 
auch die Ledermesse und die Meßbörse für Lederindustrie auf 
den folgenden Mittwoch, den 16. September, verlegt werden. 
Eine Außerung des Rates ist es, die man, will man 
die Leipziger Messen der „Großen Zeit“ schildern, nicht 
umgehen darf. Sie ist die Begründung seiner Stellung- 
nahme vor den Stadtverordneten. In ihr heißt es: 
„Was nun die Frage anlangt, ob wir die Messe abhalten 
sollen oder nicht, so mußten wir uns nach reiflichster 
Erwägung in ersterem Sinne entscheiden. Einmal konnten 
woir die jetzige Geschäftsunlust und den jetzigen Mangel an 
Absatz nicht als von solcher ODauer ansehen, daß auch für 
das Weihnachtsgeschäft nichts zu erhoffen sei. Im Gegen- 
teil meinen wir, daß einerseits schon der Krieg selbst Be- 
dürfnisse wachgerufen hat, deren Befriedigung der Industrie 
zufällt. Wir erinnern nur an die mannigfachen Liebes- 
gaben, die den im Felde stehenden Soldaten zugesandt 
werden. Wie mannigfache Gaben der Erquickung werden 
nicht schon jetzt versandt, und wie wird sich noch der Bedarf 
an allerlei Gegenständen des täglichen Gebrauchs (Wasch- 
besteche, Eßbestecke, Taschenapotheken, Taschenlaternen, 
Taschenfeuerzeuge u. ä.) immer mehr herausstellen. Zu 
dem Inhalt der Liebesgaben gesellt sich aber die äußere 
Verpackung. Auch da sind mannigfache Arten denkbar, und 
wie groß ist gleichfalls der Bedarf. Weiter aber wird — 
der zuversichtlichen Hoffnung dürfen wir gewiß leben — 
auch das Weihnachtsfest in den Familien selbst nicht ohne 
Gaben gefeiert werden. Und wenn es schließlich auch nur 
billige Gaben sind, so wird doch das deutsche Volk die Hand 
seiner Kinder nicht leer lassen und wird ihnen das hinein- 
legen, wonach sich deren Herz jetzt am meisten sehnt: etwas, 
das mit dem Militär zusammenhängt, sei es Spielzeug, 
mit dem es sich am Tische beschäftigt, oder solches, mit dem 
es beim Bewegungsspiel Soldat und Krieg zu spielen ver- 
mag. Also auch nach dieser Richtung scheint uns eine An- 
regung für das Meßgeschäft gegeben zu sein. Wenn wir 
nun im Widerspruch mit unserer Überzeugung die Messe 
abzusagen beim Königlichen Ministerium beantragt hätten, 
so würde dies wie eine behördliche Bescheinigung für die 
Berechtigung zu schlimmsten Befürchtungen auf wirtschaft- 
lichem wie politischem Gebiete gewirkt haben und wäre 
geeignet gewesen, in ganz Deutschland Mutlosigkeit und 
Verzagtheit zu fördern. Wir glauben unsd den Dank 
aller am Wirtschaftsleben beteiligten Kreise 
verdient zuhaben, wenn wir die Messe abbalten 
lassen und so das Vertrauen in die Zukunft 
festigen.“ 6 f 
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Es war schließlich nach allem der beste Rat, den die 
„Frankfurter Zeitung“ den Gegnern der Abhaltung der 
Messe sagte: „Weiter darüber zu diskutieren, hat keinen 
Zweck, da die Messe eben erzwungenerweise stattfinden wird. 
Mit um so größerer Spannung wird man dem Ergebnis 
entgegenblicken.“ 
Es wird nicht wundernehmen, zu hören, daß nach dem 
heftigen Eintreten so vieler gegen die Abhaltung der Herbst- 
messe im Jahre 1914 und bei der damale herrschenden Ver- 
kehrsnot, sowie bei der allgemeinen mehr als flauen und 
doch auch mehr als aufgeregten Stimmung die nun tat- 
sächlich am 13. September 1914 begonnene Messe bei weitem 
nicht das großzügige Gepräge zeigte, das ihre Vorgänge- 
rinnen der Friedenszeit auszeichnete. Sie wäre noch stiller, 
noch glanzloser verlaufen, wenn nicht der Mietnachlaß doch 
eine immerhin recht stattliche Zahl von Ausstellern be- 
wogen hätte, ihre Bedenken fallen zu lassen. Schon das 
äußere Stadtbild ließ aber doch unendlich viel von dem ver- 
missen, was den Leipziger Musterlagermessen der letzten 
zwei Jahrzehnte ihr besonderes Straßengepräge gegeben 
hatte. Die Tausende bunter Schilder und Fahnen und son- 
stiger Reklamemittel, die sonst an den Häusern der inneren 
Stadt und namentlich an den Riesenmeßpalästen so lustig 
lockten, der vielsprachige Wirrwarr, der alle Gassen und 
öffentlichen Lokale früher durchbrauste, das Durcheinander 
mechanischer und nichtmechanischer Musik= und Spiel= und 
Sprechinstrumente, das Jagen und Hasten — alles war 
auf ein Minimum zusammengeschrumpft, und es gab tat- 
sächlich überempfindliche, kriegsnervöse Menschen in Leipzig, 
die auch schon dieses geringe Maß Leipziger Meßtrubels als 
unwürdig der großen, ernsten Zeit erachteten, in der sie 
lebten. Dabei mag dahingestellt bleiben, inwieweit sie und 
auch weniger Empfindliche darin recht hatten, daß die 
Schaumesse für dieses Mal hätte unterbleiben müssen, ob- 
wohl auch sie gegen ihre Vorgängerinnen ein eigentlich doch 
nur recht klägliches Bild aufweisen konnte. Vor allem 
aber, wo war der berühmte Leipziger Meßreklameumzug 
geblieben? Sonst eine straßenlange Schlange lustig kostü- 
mierter Mummenschanzler, zum Teil in Tiergestalt, bunt 
und neckisch, bescheiden und protzig einzelne Meßaussteller 
und ihre Fabrikate auspreisend, oft mit Glocken= oder 
Schellengeläut — jetzt ein kleiner, stiller Trupp nur noch, 
dem man kaum Beachtung zgollte. 
An einen normalen Verkehr und Verkauf war von vorn- 
herein nicht zu denken. Man schätzte die Zahl der ausstellen- 
den Besucher auf etwa 300 Firmen, und auch die Zahl der 
Einkäufer war nicht mit der früherer Messen vergleichbar. 
Trotz des sehr schwachen Besuches der Messe darf man 
sie doch nicht allzu ungünstig beurteilen, sie nicht schlechter 
machen, als sie in Wahrheit gewesen ist. Man darf vor 
allem nicht aus den Augen lassen, daß ja zu den Herbst- 
messen stets ein weit kleinerer Zustrom von Ein= und 
Verkäufern gekommen war, als zu den Östernvormessen. 
Im allgemeinen handelte es sich von jeher auf den Herbst- 
messen mehr um die sogenannte Detailkundschaft, die 
Grossisten zogen immer die Ostervormesse vor. Daß vor 
allem solche Artikel Zugkraft bewiesen, die in irgend- 
welcher Weise mit dem damals noch sehr jungen Kriege in 
Zusammenhang standen, ist begreiflich, wenn auch auf 
diesem Gebiete die allgemeine Geschäftslage und Geldknapp- 
heit hindernd wirkten. Jedenfalls zeigte der Verlauf, daß 
der Rat der Stadt durchaus recht gehabt hatte, wenn er 
behauptet hatte, daß gewisse praktische Gebrauchsartikel 
für den Schützengraben und Spielzeug in Kriegsaufmachung 
der Messe ein besonderes Gepräge geben würden. Auch 
die Papier-, Kartonnagen= und die Postkartenbranchen 
hatten recht gut ausgestellt, und so manche Firmen haben 
recht befriedigende Aufträge ihr Kommen zur ersten Kriegs- 
messe nicht bereucn lassen. Selbst das Ausland hatte sich
	        
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