Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Neben dieser Tätigkeit des Landesrats, deren letztes Er- 
gebnis die Wahl eines Zentralrats war, ist das Verhalten 
der größeren Arbeiter= und Soldatenräte im Lande von 
wichtiger Bedeutung. Der Vereinigte revolutio- 
näre Arbeiter= und Soldatenrat Groß-Dres- 
den hatte kurz nach der Regierungsbildung Mitte Novem- 
ber die ersten Stürme zu bestehen. Am 17. November 
traten die Kommunisten geschlossen aus (Staatszeitung 
260)0. Da der Dresdener Rat sich nicht als endgültig be- 
trachtete, waren neue Wahlen ausgeschrieben worden. Die 
Wahlen liefen für die Mehrheitssozialisten sehr günstig 
aus, indem sie 117 866 Stimmen (47 Vertreter) erhiel- 
ten, während die Unabhängigen sich mit 8440 Stimmen 
(3 Vertreter) begnügen mußten. Damit war der Dresdener 
Nat sehr einheitlich zusammengesetzt (Staatszeitung 275). 
Die Unabhängigen protestierten zwar in der ersten Sißtzung 
gegen die Rechtsgültigkeit der Wahlen, bonnten aber nichts 
ausrichten. Unter den wichtigeren Beschlüssen ragt die An- 
nahme eines Antrags hervor, bei der sächsischen Regierung 
dahinzuwirken, daß die Nationalversammlung sobald als 
möglich zustande käme (Staatszeitung 277). Die Arbeiten 
des Dresdener Nats bewegten sich in sehr geschickten Bahnen. 
Man gab sich Mühe, die Schwierigkeiten des Ernährungs- 
und Wohnungswesen zu beheben, man wollte für die heim- 
kehrenden Krieger sorgen. Vor allen Dingen wollte man 
ernstlich Ordnung schaffen (Staatszeitung 279). Gerade 
auf sozialem Gebiete kam es zu ganz wichtigen An- 
regungen. Zur Förderung des Kleinwohnungsbaus sollten 
allgemeine Maßnahmen von seiten eines Landeswohnungs- 
amts vorgenommen werden. Auch zielte man auf eine ein- 
heitliche Lösung der Bekleidungsfrage hin (Staatszeitung 
294). In Hinsicht auf die Seuchengefahr wurden sanitäre 
Maßnahmen getroffen. In bezug auf die sogenannten revo- 
lutionären Errungenschaften war man nicht besonders ängst- 
lich. Diese Sorglosigkeit wurde vielfach von den Unabhängi- 
gen zu scharfen Angriffen benutzt. Allerdings war man 
sich in der Frage der Hinzuziehung des Bürgertums zu den 
öffentlichen DOingen durchweg einig, indem die Mitarbeit 
des Bürgertums glatt abgelehnt wurde. Andererseits konnte 
man sich nicht der Notwendigkeit verschließen, für das Zu- 
standekommen der deutschen Nationalversammlung einzu- 
treten (Staatszeitung 300). Schließlich ging man dazu 
über, sich über reine Arbeiterfragen schlüssig zu werden, 
wohl nicht letzten Endes darum, weil die Arbeiterschaft 
schon etwas ungeduldig war. Besonders standen die Lohn- 
fragen und die Angelegenheiten des Arbeiterrechts im Vor- 
dergrund des Interesses. Daneben spielte die Stellung zu 
den Arbeiten des Landesrats und auch des Reichsrats öfters 
eine große Rolle (Staatszeitung *1). Auch in ziemlich ab- 
gelegene Gebiete wagte man sich. So beschäftigte eines 
Tages die Frage der Neugestaltung Deutschlands (Bundes- 
staat oder Einheitsstaat) und die großsächsische Frage den 
Arbeiterrat Groß-Dreödens (Staatozeitung 5), beides wohl 
in Anlehnung an die Verhandlungen des Landesrats. 
Während der Dresdener Nat ziemlich viel positive Arbeit 
leistete, war der Leipziger Arbeiter= und Soldaten- 
rat, in dem jederzeit die Unabhängigen die geschlossene 
Mehrheit hatten, geradezu ängstlich bemüht, die Errungen- 
schaften der Nevolution zu wahren und auszubauen. Es 
geschah dies mit großer Gewalt und zum Teil in offener 
Opposition gegen Landes= und Reichsgesetze. Ofters kamen 
Übergriffe im Verwaltungsbereich städtischer und staatlicher 
Behörden vor, so daß sich die Regierung gezwungen sah, 
energisch Verwahrung einzulegen (Staatszeitung 286, 302). 
Insbesondere tat die Leipziger Volkszeitung das ihre, die 
Bevölkerung fortgesetzt in Atem zu halten. Freilich gab es 
auch besonnenere Elemente, die aber von den Radikalen 
bald abgeschüttelt wurden. — Die übrigen örtlichen Räte 
traten nur dann etwas aus ihrer Tätigkeit hervor, wenn 
es galt zu Fragen Stellung zu nehmen, die über den Nah- 
men der engen Ortlichkeit hinausgingen. 
Mehrfach ist bei der bisherigen Darstellung das Ver- 
halten der Parteien gestreift worden. Die bürger- 
lichen Parteien standen vor einer vollkommenen Neuorien- 
tierung, die sich erst bei der Vorbereitung der Wahlen zur Na- 
tionalversammlung und zur Volkokammer zeigte. Oie drei 
sozialistischen Parteien lagen fortwährend im Kampfe. Den 
Kommunisten und Unabhängigen war das Tempo der Um- 
wälzung viel zu gemäßigt. Da sie auf geordnetem Wege 
sich nicht durchsetzen konnten, versuchten sie es mit Ob- 
struktion, ja sogar mit Illoyalität gegen die Ministerkol- 
legen (vergleiche die Sitzung des Landesrats am 27. De- 
zeinber). Die Masse ging noch gewalttätiger vor und er- 
regte Unruhen und Aufstände, die nicht unblutig waren. 
So kam es gelegentlich des Einzugs der Chemnitzer Ulanen 
zu einer Schießerei (Staatszeitung 286, 287), ebenso in 
Leipzig, als Truppen nach Berlin durch Leutzsch fuhren 
(Staatszeitung 7). Die Leipziger Volksmenge ließ sich 
auch des öfteren Ubergriffe gegen die bürgerlichen Blätter, 
namentlich gegen die Leipziger Neuesten Nachrichten, zu 
schulden kommen. Die Übergriffe gegenüber der Universität 
steigerten sich oft zu groben Ungehörigkeiten. Auch war 
Leipzig die erste Stadt, in der die Streiks einsetzten. 
Während aber hier infolge des Übergewichts der Unab- 
hängigen alle Übergriffe ohne jeden Einspruch von der 
Bürgerschaft hingenommen wurden, waren in Dresden, 
am Sitze der Regierung, die Putsche schon gefährlicher. Na- 
mentlich waren es dort die von Nühle aufgepeitschten Kom- 
munisten, die fortgesetzt Krawalle hervorriefen. Mitte De- 
zember zogen die Kommunisten im Anschluß an Versamm- 
lungen mehrere Tage in gewalttätiger Weise durch die 
Stadt. Am ersten Tage zog man von Behörde zu Behörde 
und lärmte (Staatszeitung 291), während am zweiten Tage 
man es auf Requirierung von Lebensmitteln abgesehen 
hatte (Staatszeitung 292). Leider fielen bei diesen Putschen 
auch Menschenleben zum Opfer. Die Hauptführer konnten 
festgenommen werden. Wie sich nachträglich herausstellte, 
waren den Führern nur halbwüchsige Burschen und Mädchen 
nachgelaufen. — Ernster waren die Ausschreitungen in der 
ersten Hälfte des Januar. Den Kommunisten war es ge- 
lungen, die Arbeitslosen ziemlich geschlossen an ihren Wagen 
zu spannen. Offenbar hatte der Berliner Aufruhr den 
Hauptanlaß gegeben. Im kommunistischen Roten Soldaten- 
bund hatte Rühle zu einem Demonstrationszuge aufgefor- 
dert. Man wollte das Redaktionsgebäude der Dresdener 
Volkozeitung stürmen. Es kam zu einer Schießerei, die 
ziemlich blutig auslief. Rühle wurde nach diesem Yutsch 
verhaftet, und der Arbeiter= und Soldatenrat Groß-Dresden 
verbot kommunistische Versammlungen (Staatszeitung 8). 
Zweifellos ebenfalls im Zusammenhang mit den Berliner 
Ereignissen standen die blutigen Kämpfe zwischen Kom- 
munisten und Truppen in Zwickau in den folgenden Tagen. 
Auch hier kam es zur Unterdrückung des Aufruhrs und zur 
Inhaftierung der Rädelsführer (Staatszeitung 70, 10). 
Den Anlaß zum Konflikt gab immer außer dem für die 
Unabhängigen zu langsamen Tempo revolutionärer Ent- 
wicklung die Frage der Nationalversammlung, die 
alle Gemüter beherrschte (vergleiche die Sitzungen des Lan- 
desrats). Die Radikalen lehnten überhaupt eine National- 
versammlung ab, eine mittlere Gruppe wollte erst dann 
eine solche, wenn in ganz Deutschland die wirtschaftliche 
Gleichstellung aller Volksgenossen erreicht sei. Die gemäßig- 
ten Sozialisten und vor allem das gesamte Bürgertum 
rief immer lauter nach rechtlichen Zuständen, die einzig 
und allein von der Nationalversammlung geschaffen wer- 
den bonnten. Von Reichs wegen war man der Ansicht, die 
Wahlen i#m Januar stattfinden zu lassen. Das Reichswahl- 
gesetz war am 30. November lols erlassen worden (Reichs-
	        
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