Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

Gemeinden angeordnet. Kleinere Gemeinden können zu 
diesem Zwecke zusammengeschlossen werden. Die Ritter- 
güter haben sich mit der Gemeinde zu vereinigen. 
Die Bildung von Ortsausschüssen kann unterbleiben in 
den bezirksfreien Städten und in den Gemeinden ohne nen- 
nenswerte Landwirtschaft. 
6& 2. Die Aufgaben der Ortsausschüsse sind: 
1. Erfassung der abzuliefernden Lebensmittel, 
2. nachdrückliche Bekämpfung des Schleichhandels, 
3. Sicherung der Fortführung der landwirtschaftlichen 
Betriebe, 
4. Schaffung sofortiger Arbeitsgelegenheit, 
5. Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, 
6. Sicherung von Person und Eigentum. 
§ 3. Die Ortsausschüsse werden von den Erzeugern und 
Verbrauchern in getrennter Wahlhandlung gewählt. Die 
Wahlversammlungen sind von der Ortsbehörde zu berufen. 
Wahlberechtigt sind alle über 20 Jahre alten männlichen 
und weiblichen Gemeindeeinwohner. 
& 4. Die Ortsausschüsse sind paritätisch aus Erzeugern 
und Verbrauchern zusammenzusetzen und müssen mindestens 
aus drei Erzeugern und Verbrauchern bestehen. Sie wählen 
einen Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden; beide 
dürfen nicht derselben Gruppe angehören. 
Arbeitsministerium. 
Volksbeauftragter Schwarz. 
Zweifellos ist von diesen Ausschüssen im Verein mit 
den örtlichen Arbeiter= und Soldatenräten mancherlei ge- 
schaffen worden, wiewohl auch zahlreiche Ubergriffe vor- 
gekommen sind. Widerrechtliche gewalttätige Beschlagnah- 
men waren mancherorts an der Tagesordnung und eine 
gewisse Lebensmittelschnüffelei setzte allenthalben ein, wo- 
465 der Pöbel manchmal sich zu Plünderungen hinreißen 
ließ. 
Ungeheuer schwierig waren die Fragen der Demo= 
bilisation und der beginnenden Auflösung des alten 
Heeres. Ein kolossaler Arbeitskreis war damit den Sol- 
datenräten gestellt, die sich durch zu straffes Handhaben 
revolutionärer Grundsätze des geschulten Personals unvor- 
sichtigerweise begeben hatten. Galt es doch für die ent- 
lassenen und zu entlassenden Soldaten zunächst Unterkunft 
zu schaffen. Durch Zivileinquartierung wollte man sich 
helfen. Freilich waren ohnehin schon die Wohnungen knapp. 
Dann mußte auch Vorsorge getroffen werden, daß das 
Heeresgut nicht verschleudert wurde oder in die Hände 
von Schiebern kam. Die industriellen Betriebe mußten 
umgestellt werden, freilich war es auch noch nötig, um 
die Arbeiter ungestört zu beschäftigen, daß gewisse Kriegs- 
artikel, darunter auch Munition, weiter hergestellt wurden. 
Ferner mußten vorhandene Rohmaterialien an die Industrie 
verteilt werden. Die vielen Entlassenen, soweit sie nicht in 
ihre frühere Stellung übergingen, mußten mit Notstands- 
arbeiten beschäftigt werden. Sonst wären noch größere 
Massen der Erwerbslosenfürsorge zugefallen. Indes hin- 
derte der einbrechende Winter, Arbeiten größeren Stiles 
in Angriff zu nehmen. Wegen plötzlicher Lohnsteigerungen 
wollten Privatunternehmer auch nicht gern an größere 
Arbeiten herantreten. Um einen Abschub von ledigen Ar- 
beitskräften aus den großen Bevölkerungszentren zu er- 
zielen, erließ der Staatskommissar für Demobilmachung 
einen bittenden Aufruf an die Landbevölkerung 
(Staatszeitung 3): 
Stunden der größten Not sind in unserem Vaterlande 
angebrochen. Die Aufrechterhaltung unserer inneren Wirt- 
schaft ist auf das schwerste gefährdet. Mangel an Kohlen 
und Rohstoffen legen die Industrie in großem Umfange 
lahm. Ungezählte zurückkehrende Krieger sind arbeits= und 
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erwerbslos. Es wird möglich sein, diesen allen und den 
vielen anderen erwerbslos gewordenen Arbeitern in Indu- 
strie und Handwerk Unterkunft, Nahrung und Arbeit zu 
geben. Hier muß und kann das Land helfen. Landwirte! 
Ihr habt in aufopferndster Weise und unter Einsetzung Eurer 
ganzen Kraft bisher geholfen! Helft auch jetzt, die zurück- 
kehrenden Krieger und alle anderen, die keine Arbeit finden, 
auf dem Lande zu beschäftigen! Gebt ihnen Arbeit, Nahrung 
und Wohnung, auch dann, wenn ihr Euch selbst im Naum 
beschränken müßt! Baut Wege, melioriert Eure Felder und 
Wiesen, macht Waldarbeiten, kurz, schafft Arbeit! Das ist 
jetzt eine hohe sittliche Pflicht der Landwirtschaft. 
Ohne Opfer wird und bann es dabei nicht abgehen. Uber 
allem muß jetzt die Forderung der Erhaltung unserer land- 
wirtschaftlichen Kraft und der inneren Nuhe und Sicherheit 
stehen. Steigert die Erzeugung, soweit es irgend möglich 
ist, nehmt an Menschen auf, soviel als ihr nur irgend unter- 
bringen könnt und arbeitet so mit am Wohle unseres Vater- 
landes! Was vom Reichsamt und vom sächsischen Staato- 
kommissar für wirtschaftliche Demobilmachung sowie vom 
Arbeits= und Wirtschaftsministerium geschehen kann, um 
der Landwirtschaft zu helfen, wird geschehen. 
Arbeiter! 
Industrie und Handwerk, die Euch biöher beschäftigt ha- 
ben, liegen darnieder. Die Kohlen= und Transportnot zwingt 
sie zur Einstellung oder Einschränkung der Arbeit. Das Land 
aber braucht Arbeiter. In den landwirtschaftlichen Betrieben 
ist überall vieles nachzuholen. Nichts ist jetzt wichtiger als 
die Sicherung unserer Ernährung. Landverbesserungen, Weg- 
bauten und viele andere Arbeiten ähnlicher Art harren der 
Ausführung. Bei der Bestellung und Ernte des kommenden 
Wirtschaftsjahres können viele Arbeiter lohnende Beschäfti- 
gung finden. Es gilt, den Boden bis zum letzten Fleckchen 
zu bebauen. Das Land ruft Euch und braucht Euchl 
In größeren Gemeinden sowie in allen amtshauptmann- 
schaftlichen Bezirken sind öffentliche Arbeitsnachweise (Be- 
zirksarbeitsnachweise), in einer größeren Anzahl von Orten 
überdies Nebenstellen des Arbeitsnachweises des Landes- 
kulturrates vorhanden, die landwirtschaftliche Arbeit ver- 
mitteln. Wendet Euch an sie, Ihr werdet Arbeit finden und 
helft so am besten Eurem Vaterland. 
Dresden, den 3. Januar 1910. 
Der Staatskommissar für Demobilmachung. 
Das Arbeits= und Wirtschaftsministerium. 
V. Abteilung (Landwirtschaft). 
Die Aufgaben der Demobilisation waren ungeheuer. Die 
Geduld der lange in Uniform gehaltenen Soldaten war 
nicht groß. Um nun auch die unzufriedenen, im Kriege 
wegen disziplinellen Vergehen bestraften Soldaten für die 
Revolution zu begeistern, um auch auf dem Gebiete des 
Militärstrafgerichtsverfahrensneue Grundsätze ein- 
zuführen, erließ der Volksbeauftragte für Militärwesen am 
23. November eine Bekanntmachung (Staatszeitung 275), 
die aber eine Woche später in Verbindung mit einer Am- 
nestie durch eine neue Verordnung ersetzt wurde (Gesetz- 
und Verordnungsblatt 1918, Seite 370 ff.). 
Sehr schwierig waren auch die Verhältnisse der Be- 
rufosoldaten zu regeln. Mit der Auflösung und besonders 
durch die Revolutionierung des Heeres war die Lage der 
Offiziere sehr traurig geworden. Vielerorts kam dazu ein 
in vollem Umfange unberechtigter Haß gegen die früheren 
Vorgesetzten, so daß ein großer Teil der Offiziere vor den 
Kopf gestoßen wurde und den Abschied nabm. Ein Drang 
nach anderen Berufen setzte ein, besonders viele griffen zum 
Studium, einige auch fanden sich in der Not mit niedrigen 
Berufen ab. Die Gründung eines „Sächsischen
	        
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