Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

24. Juli 101 
  
  
  
Der englische Staatssekretär des Aeusseren Sir Edward Grey 
an den englischen Botschafter in Wien, Sir M. de Bunsen. 
Blaubuch Nr.d. 
London. 
Graf Mensdorff hat mir die an Serbien gerichtete Note 
rleichzeitig mit einer Erklärung der Gründe, die dazu geführt 
haben, übermittelt. 
In der darauf entstehenden Unterhaltung mit Seiner 
Exzellenz bemerkte ich, dass ich es für sehr bedauerlich halte, 
dass ıman auf eine Befristung im gegenwärtigen Stadium der 
Verhandlungen beharrt habe.') Die Ermordung des Erzherzogs 
und einige Serbien betreffende Umstände, die in der Note an- 
gegeben werden, erweckten, wie es nur natürlich sei, Teil- 
nahme für Oesterreich, aber gleichzeitig hätte ich niemals vor- 
her gesehen, dass ein Staat an einen andern unabhängigen 
Staat ein Dokument von so furchtbarem Charakter richtete. 
Die Forderung 5°) würde kaum mit der Aufrechterhaltung 
der unabhängigen Souveränität Serbiens vereinbar sein, wenn 
sie bedeutete, wie es der Fall zu sein schien, dass Oesterreich 
mit dem Rechte ausgestattet werden solle, Beamte zu er- 
nennen, die innerhalb der serbischen Grenzen Machtbefurnisse 
haben sollten. 
Ich fügte hinzu, dass ich grosse Befürchtungen hege 
und dass ich die Angelegenheit einzix und allein vom Stand- 
punkte des europäischen Friedens betrachten würde. Die Ur- 
sachen der österreichisch-serbischen Streitigkeiten gingen die 
Regierung Seiner Majestät nichts an und die Bemerkungen, die 
ich darüber gemacht hätte, verfolgten nicht den Zweck, diese 
Ursachen zu diskutieren.?) 
) Bib. Nr. 5. Siehe Bib. Nr. 3, 
) Diese Forderung lautete: <einzuwilligen, dass in Serbien 
Organe der k. und k. Regierung bei der Unterdrückung der gegen 
die territoriale Integrität der Monarchie gerichteten subversiven Be- 
wegung mitwirken». 
°) Das Österreichische Material ist in der Tat niemals von der 
Dreiverbandsdiplomatie zum Gegenstand irgend welcher Unterhaltung 
gemacht worden. Die Sache selbst wurde nie geprüft, sondern nur 
das Problem der serbischen und russischen Empfindlichkeit gegenüber 
einem als Provokation erklärten deutsch-österreichisch-ungarischen 
Vorgehen. Das österreichische Material, das allein die Härten der 
Note erklären und rechtfertigen konnte, wurde übersehen. Man hielt 
sich nur an die Härten der Note, die daher nicht als Schlussfolgerung 
der österreichischen Klagen über Serbien wirkte, sondern als po- 
litische Aktion gegen Russland. 
Grey tadelt die 
kurze Frist und 
die Verstösse 
der Note gecen 
Serbiens Soıt- 
veränität.
	        
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