Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

24. Juli 119 
  
  
Prinzregent Alexander, Kronprinz von Serbien, an den Kaiser 
von Russland. °) 
  
Orangebuch Nr.6 und serbisches Blaubuch Nr. 57. 
Belgrad. 
Die österreichisch-ungarische Regierung hat gestern 
Abend der serbischen Regierung eine Note über das Attentat 
von Serajewo überreicht. In Bewusstsein seiner internatio- 
nalen Pflichten hat Serbien von den ersten Tagen des schreck- 
lichen Verbrechens ab erklärt, das es dasselbe verurteile und 
bereit sei, eine Untersuchung auf seinem Gebiet zu eröffnen, 
wenn die Mitschuld gewisser serbischer Untertanen im Ver- 
laufe des Prozesses, den die österreichisch-ungarischen Be- 
hörden führten, erwiesen sei.’) Die österreichisch-ungarischen 
Forderungen aber sind unnötig demütigend für Serbien und un- 
vereinbar mit der Würde eines unabhängigen Staates. So ver- 
langt man von uns in einem Ton, der keinen Widerspruch 
duldet, eine Erklärung der Regierung im Amtsblatt und einen 
Tagesbefehl des Herrschers, in dem wir den österreichfeind- 
lichen Geist tadeln und uns selbst Vorwürfe über ver- 
brecherische Schwäche unseren perfiden Intrigen gegenüber 
machen sollen. Man zwingt uns dann die Zulassung öster- 
reichisch-ungarischer Beamter in Serbien auf, die mit den 
unseren an der Untersuchung teilnehmen und die Ausführunz 
der anderen in der Note angegebenen Bedingungen überwa- 
chen sollen. Wir haben eine Frist von 48 Stunden für die An- 
nahme des Ganzen erhalten, widrigenfalls die österreichisch- 
ungarische Gesandtschaft Belgrad verlassen wird. Wir sind 
bereit, die Österreichisch-ungarischen Bedingungen anzuneh- 
men, die mit der Stellung eines unabhängigen Staates verein- 
bar sind, wie auch jene, deren Annahme Eure Maiestät uns 
anrät. Alle Personen, deren Teilnahme an dem Attentat be- 
wiesen wird, werden von uns streng bestraft werden. 
Gewisse Forderungen können ohne eine Aenderung unserer 
Gesetzgebung nicht ausgeführt werden, wozu wir Zeit 
nötig haben. Man hat uns eine zu kurze Frist gewährt: 
Wir können vor Ablauf der Frist von der österreichisch-un- 
garischen Armee angegriffen wierden,’) die sich an unserer 
Ob. Nr. 6 und serb. Bib. Nr. 37. !) Kurz vor der Mordtat von 
Serajewo übertrug König Peter wegen Erkrankung dem Kronprinzen 
die Regentschaft. 
*) Vergleiche die gegenteiligen Aeusserungen Mensdorffs Bib. 
Nr. 3, sowie die darauf bezüglichen Stücke des Rb. 
..°%) Der weitere Verlauf der Ereignisse beweist, dass diese 
Befürchtung unbegründet war. Am 25. Juli lief die Frist ab; erst 
am 28. Juli erfolgte die Kriegserklärung Oesterreich - Ungarns an 
Serbien. 
Der serbische 
Kronprinz ruft 
die Hilfe des 
Zaren an, da 
Serbien die 
Note nicht an- 
nehmen könne. 
Serbien will 
die Forderun- 
gen annehmen, 
zu deren An- 
nahme Russ- 
land rät.
	        
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