Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

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ist eine Binsenweisheit und ist doch mehr als eine solche. 
Denn wenn man sich von allen Nebeln einer grübeinden 
Vertiefungs- und Auslegungssucht befreit, muss man doch 
diese grundlegende Wahrheit anerkennen, dass nämlich 
weder die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thron- 
folgers, noch die Ueberreichung des Ultimatums in Belgrad 
an und für sich irgendwelchen europäischen Krieg entfes- 
selte und entfesseln konnte. Sie schufen eine europäische 
Lage. Sie wurden der Anlass zu europäischen Verhandlungen. 
Diese Verhandlungen sollten offiziell Unstimmigkeiten lösen. 
Sie wollten offiziell einen modus vivendi für das aufgestörte 
Europa finden. Und an seiner Statt schufen sie den Casus 
belli. Sie wollten Friedensverhandlungen sein, und sie wurden 
Kriegsverhandlungen. 
Ist es also noch müssig, auf jeden Fall schwierig, die 
tieferen Ursachen zu erkennen, aus denen das Europa der 
Monate Juli-August 1914 hervorging, jenes Europa, dessen 
Friedensverhandlungen zu Kriegsverhandlungen werden 
mussten, so steht nichts einer Prüfung der Frage entgegen, 
warum aus jenen Friedensverhandlungen Kriegsverhandlungen 
wurden. Darf man nicht den ganzen weiten Weg überschauen, 
der vom fernen Horizont eines heute sagenhaften Friedens in 
die Gegenwart der Schlachtfelder führt, so ist es erlaubt, 
die letzte Wegstrecke zu überblicken. Die Wegstrecke, deren 
Meilensteine das Datum des 23. und 25. Juli, des 1., 3. und 
4. August führen. Dieser Ueberblick und diese Prüfung 
kann auf jede künstliche und kunstfertige Konstruktion ver- 
zichten, auf jedes Schürfen in den Trümmern des alten Eu- 
ropas. Es genügt, Schritt für Schritt die Verhandlungen zu 
verfolgen, die dem blutigen Zusammenprall vorangingen. 
Es genügt mit offenen Ohren und hellem, unbefangenem 
Sinn der Sprache der Kabinette zu lauschen, mit ungetrübtem 
Blick die Aktenstücke zu lesen, die jede der kriegführenden 
Regierungen über die Kriegsverhandlungen im Herbste des 
Jahres 1914 veröffentlichte. Erwecken wir noch einmal die 
dunklen Tage reich an Worten und reich an heimlichem 
Trachten und Denken, aus denen dieser Krieg entstand. 
Damals hörten wir nur die schweren, dumpfen Schlussätze,
	        
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