31. Juli 307
Der deutsche Reichskanzler, von Bethmann Hollweg, an den
deutschen Botschafter in Paris, Freiherrn von Schön.
Weissbuch, Anlage 23.
Berlin.
Russland hat trotz unserer noch schwebenden Vermitt-
lungsaktion und obwohl wir selbst keinerlei Mobilmachungs-
massnahmen getroffen haben, Mobilmachung seiner gesamten
Armee und Flotte, also auch gegen uns, verfügt. Wir haben
darauf drohenden Kriegszustand erklärt, dem Mobilmachung
land auch mobilisieren müsse. Blb. Nr. 76: von Jagow macht am 29. Juli
Goschen von Neuem auf die Gefahr der russischen Vorbereitungen
aufmerksam. Wb. Anlage 10: Der Reichskanzler warnt am 26. Juli in
London vor militärischen Massregeln Russlands, die Deutschland zu
Gegenmassregeln veranlassen müssen. Aehnliche Mitteilungen in Paris
und St. Petersburg vom 26. Juli enthalten Wb. Anlage 10a und 10b.
Wb. Denkschrift: Der deutsche Botschafter in St. Petersburg erklärt, dass
vorbereitende militärische Massnahmen Russlands, Deutschland zu
Gegenmassregeln, d. h. zur Mobilmachung zwingen müssen, 26. Juli.
Wb. Anlage Il: Der deutsche Militärattach& macht in St. Petersburg
auf die Gefahren einer Mobilmachung aufmerksam, 27. Juli. Wb. An-
lage 17: Der Reichskanzler macht in Paris darauf aufmerksam, dass
französische militärische Massregeln Deutschland zur Proklamierung
der Kriegsgefahr veranlassen müssen, 29. Juli. Rb. 42, 28. Juli, und Rb. 48,
20. Juli: Berchtold lässt in Berlin um deutliche Erklärung in Peters-
burg bitten, welche Folgen die russische Mobilmachung haben müsse.
All dies und andere deutsche Warnungen vor russischen Militärmass-
nahmen fanden vor der russischen Teilmobilmachung gegen Oester-
reich-Ungarn statt und sollten diese verhindern. Wie reagierte Russ-
land darauf? In seinen Gesprächen mit dem deutschen Diplomaten
leugneten Sasonow und der Kriegsminister jede militärische Mass-
regel ab und verkündeten darauf am 29. Juli die schon längst
vollzogene Mobilmachung gegen Oesterreich-Ungarn. Jetzt wäre
Deutschland nach seinen Warnungen berechtigt gewesen, gleichfalls
zur Mobilmachung zu schreiten. Es tat nichts dergleichen. Es ver-
handelte weiter und bemühte sich eine Ausdehnung der russischen
Teilmobilmachung zu verhindern. Wb. Anlage 23: Telegramm Kaiser
Wilhelms an den Zaren. Ob. 60 (Blb. 97): Deutschland ersucht
Russland, die Bedingungen anzugeben unter denen es nicht weiter
mobilisiere. Was tat Russland ? Zunächst beschloss es am 29. auf die
Vorstellungen Deutschlands mit verdoppelter Energie weiter zu rüsten,
Ob. 58. Dann gab es Bedingungen an, deren Ablehnung es als sicher
voraussah, wie auch Grep und Poincare der Ablehnung sicher waren.
Und endlich, als trotzdem Deutschland noch weiterverhandelte
und soweit gegangen war, Oesterreich zur Diskussion seines Streit-
Falles mit Serbien zu überreden, proklamierte Russland die allgemeine
Mobilmachung. Da Russland bereits vor der Mobilisation in seiner
Stellung zum österreichisch-serbischen Konflikt immer intransigenter
seworden war und sich mit keiner österreichischen und deutschen
Garantie begnügen wollte, war nicht mehr daran zu zweifeln, dass
Russland jetzt, da es gerüstet dastand, keine andere Lösung als den Krieg
mehr wollte. Es dürfte nicht zweifelhaft sein, dass Russland von
dieser allgemeinen Mobilmachung erwartete, dass sie endlich Deutsch-
lands hartnäckigem Friedenswillen ein Ende machen würde, dass end-
Deutschland
lässt in Paris
anfragen, ob
Frankreich in
einem deutsch-
russischen
Kriege neutral
bleiben will.