Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

Der König der 
Belgier ruft 
Englands di- 
lomatische 
ntervention 
an. 
352 3. August 
Der König der Belgier an den König von England. 
Graubuch Nr. 25. 
Brüssel. 
In Erinnerung an die zahlreichen Freundschaitsbeweise 
Eurer Majestät und der Vorfahren Eurer Majestät, an die 
freundschaftliche Haltung Grossbritanniens im Jahre 1870 und 
an den Beweis der Sympathie, den es uns eben erst noch ge- 
geben hat, rufe ich zum Schutze der Neutralität Belgiens drin- 
gsendst die diplomatische Intervention der Regierung 
Eurer Majestät an.') 
gez. Albert 
Grb. Nr.25. ') Dieses Telegramm ist gleichfalls im Bib. Nr. 153 
abgedruckt, in einem Telegramm Greys an Goschen, vom 4. August, in 
dem der englische Staatssekretär den Botschafter ersucht, die deutsche 
Regierung zur Achtung der belgischen Neutralität zu mahnen. Eine derar- 
tige Mahnung musste natürlich von vornherein erfolglos bleiben, da Eng- 
land es abgelehnt hatte, selbst neutral zu bleiben, falls die belgische 
Neutralität respektiert würde und das deutsche Ultimatum an Belgien 
ja erst die Folge dieser englischen Ablehnung war. — Es ist zu be- 
achten, dass der König der Belgier in dem Ultimatum noch nicht 
eine Verletzung der belgischen Neutralität sieht und daher auch nicht 
an England als Garantiemacht appelliert; als ein solcher Appell ist das 
Telegramm schon deshalb nicht aufzufassen, weil dann analoge Tele- 
gramme an die andern Garantiemächte hätten abgehen müssen. Es 
handelte sich um eine auf Grund eines besonderen Freundschaftsver- 
hältnisses nur an England gerichtete Bitte, diplomatisch zu interve- 
nieren, Deutschland auf Grund diplomatischer Pourparlers dazu zu ver- 
anlassen, von einer Verletzung der belgischen Neutralität abzusehen. 
König Albert konnte ja, als er diese Bitte aussprach, an.deren Erfolg 
er durchaus glauben durfte, nicht wissen, dass England bereits längst 
alle Pourparlers in diesem Sinne abgelehnt hatte, dass England das 
deutsche Anerbieten, Belgiens Neutralität zu respektieren, falls Eng- 
land selbst neutral bleibe, von sich gewiesen hatte. König Albert 
appellierte an England, indem er sich auf die freundschaftliche Haltung 
Englands im Jahre 1870 berief. Und er konnte nicht wissen, dass Eng- 
land diesmal entschlossen war, eine seiner Haltung vom Jahre 1870 
diametral entgegengesetzte Haltung einzunehmen und bereits alleBrücken 
hinter sich abgebrochen hatte, die einen Rückzug offen hielten. Denn 
worin hatte die englische Haltung vom Jahre 1870, auf die König 
Albert anspielt, bestanden? Bei Ausbruch des deutsch-französischen 
Krieges im Jahre 1870 erkannte Gladstone die Möglichkeit, dass die 
beigische Neutralität verletzt werden könnte. Er sah die Notwendigkeit 
ein, die Garantieverträge aus dem Jahre 1839 für die Dauer des Krieges 
und auf weitere 12 Monate nach Friedensschluss auf eine neue Basis 
zu stellen. Er tat das in dem Wunsche, eine etwaige Neu- 
tralitätsverletzung Belgiens und ein daraus erfol- 
gendes Hineinziehen Englands in den Krieg zu ver- 
meiden. Er schloss daher mit dem Norddeutschen Bund und mit 
Frankreich Verträge ab, in denen England sich die Hilfe des einen 
Kriegführenden im Falle einer Verletzung der belgischen Neutralität
	        
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