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ahnen konnten, das sie aber selbst nicht in dem Umfange
besassen. Lückenlos und überzeugend, was die eigene
Politik betrifft, bedürfen das Weiss- und das Rotbuch tat-
sächlich der Ergänzung durch Orange-, Gelb-, Blaubuch usw.,
sobald die Frage der Kriegsschuld der Dreiverbandsstaaten gilt.
Was lehrt nun die Gesamtheit der also beschaffenen
Aktensammlungen über Schuld und VerantwortungamKriege?
Das ist die zweite Frage, auf die das Studium der sieben
Bücher Antwort erteilen musste.
Was tat jede der Regierungen für die Aufrechterhaltung
desFriedens,diejaallealsdasZielihrer Tätigkeitbezeichneten?
Was tat zunächst Serbien, um den Krieg mit Oester-
reich-Ungarn zu vermeiden? Es tat nichts, um Oesterreich-
Ungarn nach der Tat von Serajewo zu beruhigen. Es tat
alles, um einen Krieg mit Oesterreich-Ungarn zu vermeiden,
in dem es allein gegen den mächtigen Gegner gestanden
hätte. Es tat nichts, um einen Krieg zu vermeiden, in dem es
den Dreiverband, in erster Linie Russland, auf seiner Seite
hatte, sondern wirkte sogleich nach dem Attentat in Ööster-
reichischfeindlichem Sinne. Es lehnte die österreichisch-
ungarischen Forderungen nicht glatt ab, weil dann ein
Eingreifen des Dreiverbandes schwer möglich gewesen wäre.
Es zeigte in der Form Entgegenkommen, aber dem Inhalt
nach schärfste Widerspenstigkeit.') Es nahm genau die Hal-
tung ein, die Russland, Frankreich und England brauchten,
um der öffentlichen Meinung ein nachgiebiges Serbien vor-
zumalen und um über die scheussliche Mordtat von Serajewo
hinweggleiten zu können.
Belgiens Haltung geht nicht minder klar aus den Akten
hervor. Es hätte den Krieg mit Deutschland vermeiden
können, wenn es der deutschen Forderung, den Durchmarsch
zu gestatten, nachgekommen wäre. Dazu konnte Belgien
sich nicht verstehen. Es wünschte jedoch, dass die ganze
Frage ausgeschaltet würde durch eine diplomatische Inter-
vention Englands.’) England kam dieser Bitte nicht nach,
') Serb. Bib. Nr. 2, 5, 8, 13, 15, 37, Rb. Nr. 2,
?) Grb. Nr. 24, 25, Gib. Nr. 142, Bib. Nr. 151,