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schieden die durch die Dreiverbandakten verbreitete Auf-
fassung, als habe Serbien den grössten Teil der österreichisch-
ungarischen Forderungen angenommen, und auch das grosse
Dossier über die grosserbischen Umtriebe, das eben seines
Umfanges halber leider in der Sammlung nicht folgen kann,
dürfte schwer zu entkräften sein. Ein solcher Versuch ist
auch in keiner der Veröffentlichungen der anderen Regie-
rungen unternommen worden. Alle Dokumente machen im
Uebrigen den Eindruck der Zuverlässigkeit. Abgesehen von
den erwähnten Widersprüchen zwischen Rot- und Gelbbuch,
werden sie durchweg durch die Akten der feindlichen Re-
gierungen bestätigt. Keine von jenen inneren Widersprüchen,
verhängnisvollen Ungeschicklichkeiten usw., die z. B. beim
Orange- und Gelbbuch auffielen, ist im Rotbuch nachweisbar.
Desgleichen kann auf keine für den Gang der Verhandlungen
fühlbare Lücke hingewiesen werden.
Sprache und Ton der Rotbuchakten muten ernst und
würdig an. Es sind streng sachliche, manchmal nüchterne
Berichte und Instruktionen, die klar und deutlich ohne hinter-
hältige Form sagen, was zu sagen ist. Das berühmte öster-
reichische Kanzleideutsch treibt zwar hie und da seine
bekannten Blüten. Aber die meisten Stücke sind doch in
einer klaren, wirksamen Sprache geschrieben, die durch-
aus dem schweren, ernsten Gehalt angemessen ist. Ueber-
all, wo von Serbien die Rede ist, herrscht der Ton fester
Entschlossenheit, unerschüttlicher Willenskraft vor, dort, wo
Oesterreich-Ungarn zu den Grossmächten redet, der Ton
aufrichtigen und hoffnungsvollen Vertrauens auf Verständnis
und Solidarität mit seinen Bestrebungen, und dann wieder,
namentlich Russland gegenüber, offenherzigsten Entgegen-
kommens. Das sind Eigenschaften, denen sich, so möchte
man meinen, kein Leser des Rotbuches entziehen kann. Es
spricht aus ihnen die Tragik eines Staates, der mehr denn
ein anderer des Friedens bedurfte und für den Frieden wirkte,
der aber in dem klaren Bewusstsein lebte und handelte, dass
es sein Dasein gilt und dass selbst der schwerste Krieg
einem faulen, niederschmetternden, beengenden Frieden vor-
zuziehen ist.