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Die grösste Ueberraschung von allen diplomatischen
Veröffentlichungen musste dem unbefangenen Leser das
serbische Blaubuch bereiten. Denn hätte die österreichisch-
ungarische Regierung noch einer dokumentarischen Unter-
stützung ihres Standpunktes bedurft, so wäre kein Material
dafür geeigneter gewesen, als die Veröffentlichung der ser-
bischen Regierung. Wenn im Allgemeinen alle diplomati-
schen Farbenbücher den Zweck verfolgen, die eigene Re-
gierung zu entlasten und die feindliche Regierung zu be-
lasten, so erfüllt das serbische Blaubuch diesen Zweck
ausserordentlich schlecht. Und das will viel sagen, bei einer
Aktensammlung, deren Teile die betreffende Regierung nach
Gutdünken auswählen und zusammenstellen Konnte.
Das serbische Blaubuch — «Diplomatischer Schrift-
wechsel der serbischen Regierung» — enthält 52 Akten und
umfasst die Zeitspanne vom 29. Juni bis 6. August, wenn man das
letzte Stück, Nr. 52, einen nachträglich am 16. August in Nisch
angefertigten Sammelbericht des serbischen Gesandten in
Wien, aus den wiederholt angeführten Gründen unberück-
sichtigt lässt. Das Buch bezieht sich nur auf die Vorge-
schichte des österreichisch-serbischen Krieges. Hierbei
können zwei Abschnitte unterschieden werden. Der eine ent-
hält die Akten vom 29. Juni bis zum 23. Juli. d.h. aus der
Zeit von der Mordtat von Serajewo bis zur Ueberreichung
des österreichisch-ungarischen Ultimatums, der zweite um-
fasst die Zeit von diesem Ereignis bis zur Österreichisch-
ungarischen Kriegserklärung an Serbien, am 28. Juli. Die vier
letzten Dokumente, die spätere Daten tragen, beziehen sich
nur auf die russische Hilfeleistung und die serbische Kriegs-
erklärung an Deutschland.
Die Akten des ersten ÄAbschnittes, 31 an der Zahl,
machen mehr als die Hälfte sämtlicher Stücke aus. Ihre Auf-
gabe hätte es offenbar sein müssen, den Nachweis zu führen,
dass die österreichisch-ungarische Regierung zu Unrecht
ein hartes und scharfes Ultimatum an Serbien richtete, dass
die Voraussetzung für dieses Ultimatum nicht bestand, d.h.
Serbien sich keiner kränkenden Passivität und keines Mangels
an eigenen Initiativen schuldig gemacht, sondern versucht