180 Dr. Hochheimer
Wissenschaftliche Senat bei der Kaiser-Wilhelm-Akademie berät
die neuen Wege, auf denen der Gesundheitszustand des Heeres weiter
gebessert werden könnte. Kasernen und Lazarette, Ernährung, Körperpflege
und ärztliche Behandlung des Soldaten wurden mit den steigenden Erkennt-
nissen und Anforderungen der Heilkunde in Einklang gebracht.
So konnte das Dolk in Waffen gesund und stark hinauszieben in den
Krieg. Aber eine Uberzahl von Feinden mit unerschöpflichen Menschen-
vorräten und eine Unzahl kleinster feindlicher Lebewesen bedrohten Feld-
heer und Heimat. Darum erstanden unsern Arzten zwei entscheidende Auf-
gaben: 1. schnelle und möglichst vollkommene Wiederherstellung jedes Der-
wundeten und Kranken, damit unsere Kampfkraft nicht durch die Derluste
untergraben wird; 2. Schutz der Truppen und der bürgerlichen Bevölkerung
vor Epidemien. Die deutsche Arzteschaft stellte sich opferwillig in den
Dienst dieser gewaltigen Aufgaben; auch die nicht dienstpflichtigen Ärzte
eilten herbei, die ersten Dertreter der Wissenschaft voran. Als beratende
Chirurgen, Mediziner und H5ygieniker gingen diese hinaus, um auf
dem Hauptverbandplatz und im Feldlazarett mit zu operieren und zu ver-
binden, um in Kriegs= und Seuchenlazaretten zu behandeln und zu beraten,
um Wesen und Derbreitung ansteckender Krankheiten in Feindesland zu
erforschen und zu bekämpfen.
b) Bis vor dem Feldzuge 1870/11 starben in den Kriegen mehr Menschen
an ansteckenden Krankheiten als an Derwundungen und von den Derwun-
deten mehr an den nachfolgenden Wunodkrankheiten als an der eigentlichen
Wunde. zetzt dagegen sind die Wundkrankheiten, wie Rose, Wundfäule,
Hospitalbrand, teils verschwunden, teils zu seltenen Ausnahmefällen ge-
worden. Der qualvolle, bisher meist tödliche Wundstarrkrampf (Tetanus)
wird durch rechtzeitige Anwendung des Tetanusheilserums vermieden. Aber
die ganze Größe deutscher HBeilkunst offenbart sich darin, daß bis zum 1. UMüärz
1016 über 70 % aller in militärärztliche Zehandlung gelangten Derwundeten
wieder zur Front gehen konnten, und daß über d0 „% aller aus den Heimats-
lazaretten entlassenen Derwundeten und Kranken des Feldbheeres wieder
kriegs= oder garnisondienstfähig wurden. — Hieraus erhellt, wieviel Armee-
korps die ärztliche Kunst dem Feldbeere zurückgegeben hat. Ghne diese Arbeits-
leistungen wäre unsere Schlagfertigkeit auf die Dauer gefährdet gewesen.
Die Chirurgie hat neue Entdeckungen gemacht besonders auf dem
Gebiete der Schädel-, Birn= und Nervenschüsse, der Knochenbrüche und der
plastischen Operationen; das Röntgenwesen hat sich im „Sehen und Deu-
ten“ vervollkommnet; die Orthopädie ersann neue kunstvolle Transport-
verbände, Stützapparate und Ersatzglieder; die Sahmheilkunde schiente
und ersetzte die zertrümmerten Kiefer. In den Heimatslazaretten erwuchs
eine erfolgreiche Zehandlungsweise durch Arbeit und Ubung in Lazarett-
schulen und -werkstätten. Der Wille des Kranken, die ihm verblie-
benen Nerven, Muskeln und Gelenke an Stelle der beschädigten oder ver-
lorenen auszubilden, wurde als ausschlaggebend erkannt und geföärdert.
Dieser Krieg brachte der Leitung unseres Heeressanitätswesens eine
große Reibe unvorherzusehender Schwierigkeiten: durch seine Ausdehnung