220 Dr. Arthur Söhner
Merkmalen festgestellt werden. Leichter ist zu sagen, was Bedürftigkeit
nicht ist. Vor allem und unbedingt ist es nicht angängig, nur eine Hilfs—
bedürftigkeit im armenrechtlichen Sinne gelten zu lassen. Die Armen—
pflege scheidet überhaupt vollständig aus, wenn es sich um die
Unterstützung von Angehörigen von Kriegsteilnehmern handelt. Und wenn
eine Familie vorher Armenunterstützung erhielt, so hört diese im Augen-
blick auf, sobald ein Mitglied, das zur Unterstützung mit beigetragen hat,
in den Heeresdienst eingetreten ist, und die Familie beziebt von da an die
Kriegsunterstützung. Die Bedürftigkeit des Familienunterstützungsgesetzes
ist scharf von der armenrechtlichen Hilfsbedürftigkeit zu unterscheiden. Aber
auch die früheren Standes= und Lebensverhältnisse, wenn selbst nur ver-
hältnismäßig in der gebotenen Einschränkung, zu berücksichtigen, erscheint
zu weitgehend. Bedürftigkeit weist auf den Mangel an Mitteln zur Be-
streitung des Lebensunterhalts hin, wobei der Begriff des Lebensunter-
Ralts in wohlwollender Auslegung sehr weit gefaßt werden darf und muß.
Grundsätzlich muß gelten, daß der Haushalt des Kriegsteilnehmers auf-
recht erhalten bleibt. Mit dieser Forderung als Richtschnur sind schon die
Hauptschwierigkeiten des Zegriffs der Bedürftigkeit beseitigt.
Derschiedentlich wurde in den Unterstützungskommissionen in der An-
erkennung der Bedürftigkeit und in der Bewilligung von Unterstützungen
fehlerh#ft verfahren. Die Regierungen haben aus Anlaß von Beschwerden
deshalb wiederholt darauf hingewiesen, daß die Familien der eingezogenen
Mannschaften ein Recht auf Unterstützung haben, daß die Bestimmungen
woblwollend und ohne Kleinlichkeit auszuführen sind. Bei mancher Kom-
mission mag auch ein bedauerlicher Mangel an sozialer Einsicht schuld ge-
wesen sein, daß Klagen über Härte in den Entscheidungen laut geworden
sind. Aber im allgemeinen haben die Unterstützungskommissionen Grund-
sätze für die Feststellung der Zedürftigkeit aufgestellt, die erfreulicherweise
nicht als engherzig bezeichnet werden können.
Für Frankfurt a. M. heißt es: „Bedürftigkeit wird ohne weiteres verneint,
sofern das vor dem Dienstantritte bezogene Einkommen unverändert erhalten bleibt
(Gehalts-, Lohnfortbezahlung usw.). Ist das Einkommen auf 50 00 und weniger zurück-
gegangen, so wird die Bedürftigkeitsfrage bei allen Gehalts= und Lohnempfängern
bejaht. Zeträgt das Einkommen mehr als 50 00, jedoch weniger als lo0 %% so muß
nach unsern Dorschriften von Fall zu Fall die Frage der Bedürftigkeit eingehend geprüft
werden. Entscheidend hierbei sind: das Dorhandensein mehrerer l#inder, andauernde
Krankheiten in der Familie, die Motwendigkeit, Eltern, Schwiegereltern oder Geschwister
teilweise oder vollständig zu unterhalten. — Insbesondere wird geprüft bei Gewerbe-
treibenden und Grund= und Gebäudebesitzern, inwieweit bei ersteren der Rückgang
des Geschäfts, bei letzteren der Ausfall an Hacht= und Mietzins beträgt, bzw. welche
PHppothbekenzinsen aufzubringen sind. Bestimmte Einnahmen= oder Dermögensgrenzen,
die wir zuerst festgelegt hatten, haben wir im Laufe der Seit fallen gelassen, weil wir
bei Hrüfung der Anträge erkannten, daß unter Umständen ein Dermögen vorhanden
ist, das aber festgelegt und für die Dauer des Krieges ohne irgendeinen Ertrag ist, 3z. B.
bei Guthaben aus dem Ausland oder Besitz ausländischer Hapiere usw. Bei unsern
Drüfungen haben wir uns immer von dem Gedanken leiten lassen, daß der Besitz kleiner
Guthaben bei Sparkassen, Banken usw. (sogenannte Motgroschen) bei der Beurteilung
der Bedürftigkeit nicht in Rechnung gestellt werden darf. Es würde dem Geiste der
ganzen Gesetzgebung über die Kriegsunterstützung nicht entsprechen, die Familien der
Kriegsteilnehmer erst diese Motgroschen vollständig aufzehren zu lassen und dann erst