Full text: Staatsbürgerliche Belehrungen in der Kriegszeit. Band 2. (2)

248 Dr. Gertrud Bäumer 
2. Fürsorge für Massenspeisungen durch gemeinnützige Volksküchen 
bestand schon vor dem Kriege in großem Umfange. Trotzdem schien gerade 
in den ersten Monaten des Krieges eine Erweiterung dieser Einrichtungen 
notwendig zu sein. Und zwar einerseits im Interesse der Frauen, die jetzt 
außerhäusliche Arbeit annehmen mußten, anderseits wegen der Arbeits- 
losigkeit vieler alleinstehenden Hersonen, auch der mittleren Berufsschichten, 
die nun ihre üblichen Lebens= und Ernährungsgewohnheiten nicht fortsetzen 
konnten. Um diesen Bedürfnissen zu entsprechen, entstanden, zum Teil 
durch gemeinnützige Dereine, vielfach aber auch durch die weibliche Kriegs- 
bilfe, Dolksküchen der verschiedensten Art, von denen viele wieder geschlossen 
werden konten in dem Maße, als sich der Arbeitsmarkt wieder günstiger 
gestaltete, andere aber doch einem dauernden Bedürfnis entsprachen und 
steigend in Anspruch genommen wurden. Das gilt insbesondere von den 
sogenannten Mittelstandsküchen, in denen Angehörigen gebildeter Schichten 
billige Mahlzeiten in einer Form und Umgebung geboten wurden, die 
ihren Kulturbedürfnissen Rechnung trug. Gerade in der Ausgestaltung dieser 
Mittelstandsküchen bonnten sich der Sartsinn, der Geschmack und die prakti- 
schen Hausfrauentugenden der Frauen aufs beste bewähren. Sie sind allent- 
halben wahre Muster von Behaglichkeit und Sweckmäßigkeit geworden. 
Ein besonders großes Gebiet der Ernährungsfürsorge sind die Kinder— 
speisungen. Wo nicht durch Schulspeisungen in ausreichendem Maße gesorgt 
ist, baben Frauenvereine und weibliche Kriegshilfe in weitem Umfange 
Kindervolksküchen errichtet oder Organisationen geschaffen, durch welche 
Kindern Freitische in begüterten KFamilien vermittelt wurden. Allerdings 
hat diese letzte Form, bei der im Anfange des Krieges die allgemeine Hilfs- 
bereitschaft besonders lebhaften Ausdruck fand, sich auf die Dauer nicht 
als zweckmäßig erwiesen, einerseits wegen der Entfernungen der Arbeiter- 
viertel von denen der wohlhabenden Bevölkerung, anderseits weil sich aus 
erziehlichen Gründen die dauernde Speisung der Kinder in einem auf ganz 
anderm Fuße eingerichteten Haushalte nicht empfahl. 
Im Sommer Jolé wurde Sweck und Organisation der Dolksspeisungen 
bedentend erweitert; sie mußten der Ernährung aller derer dienen, denen 
es bei der Knappheit der Lebensmittel nicht möglich war, ein Mittagessen 
am eigenen Herd herzustellen. Dadurch steigerten sich auch die Anforde- 
rungen an die Frauen, die meist nach wie vor die Leitung behielten. 
Wie auch immer die Ernährungsfürsorge gehandhabt wurde, auf alle 
Fälle erforderte sie Derständnis für den hauswirtschaftlichen Großbetrieb, 
praktische Kähigkeiten in Einkauf und Derwertung der Nahrungsmittel, 
sorgsame und umfassende Bureauführung, besonders da, wo große Summen 
in lauter winzigen Beträgen verwertet und verrechnet werden mußten, 
verständnisvolle Beurteilung der sozialen Bedürfnisse, Organisation im 
großen und Sorgfalt im kleinen, Systematik und persönliche Fürsorge für 
den einzelnen. Die ZRechenschaftsberichte zahlloser Einrichtungen in allen 
Teilen Deutschlands zeigen, in wie hohem Maße alle diese Gaben bei den 
schon im Frieden sozial geschulten Frauen vorhanden waren.
	        
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