So konnten Spanien, Frankreich, Holland und England in der ganzen
Welt Kolonien anlegen und Handel treiben, während Deutschland ein
Binnenland wurde und gar keine Interessen und gar keine Beziehungen
mehr für überseeische Unternehmungen und zu überseeischen Staaten hatte.
Dafür wurde es der Schauplatz, auf dem jahrhundertelang alle reli-
giösen und politischen Kämpfe ausgefochten wurden.
Trotzdem blieb unser Vaterland doch der Urquell, aus dem sich ein
Strom von Auswanderern alljährlich in das Ausland ergoß. Man darf
annehmen, daß während des jüngst verflossenen Jahrhunderts etwa zehn
Millionen Deutsche ihre Heimat verlassen haben, um über das Meer zu
ziehen und fremde Staaten bevölkern und bilden zu helfen. (Man zählte
allein im Jahre 1881 lediglich in den deutschen und niederländischen
Häsen 220798 deutsche Auswanderer und im ganzen 2686000 von
1871 bis 1906.) Den Grundstock für die jetzt so mächtig gewordenen
Vereinigten Staaten von Nordamerika haben die Deutschen geliefert.
Die deutschen Auswanderer galten gewissermaßen als der „Dünger auf
dem Acker fremder Kultur“, in Wahrheit waren sie Baumaterial, aus
dem sich neue Staaten bildeten. Und ein Amerikaner nannte sie „die
besten Bürger seines Landes“. Diese Auswanderung hat besonders
im vergangenen Jahrhundert und wiederum vornehmlich in der zweiten
Hälfte desselben die Aufmerksamkeit und den Schmerz aller Patrioten
erregt. Man sah jährlich Hunderttausende von kräftigen Händen in
das Ausland gehen. Man sah, wie Deutschland seine Kinder verlor,
die hingingen, um fremde Staaten groß und reich zu machen. Der
Gedanke lag mahe, daß es viel besser sein würde, diese Auswanderer,
die nun einmal nicht mehr in der überfüllten Heimat bleiben wollten, nach
deutschen überseeischen Gebieten zu leiten, wo sie dem Vaterlande mit
ihrer Kraft und ihrem Herzen erhalten blieben, anstatt durch sie die
wenig deutschfreundlichen amerikanischen Staaten zu stärken, wo die
Deutschen schon in der zweiten Generation vollständig ihre Nationalität
und ihre deutsche Eigenart zu verlieren pflegten, um sich mit Eifer den
Aufgaben zu widmen, die ihnen die neue Heimat stellte.
Es begann sich im deutschen Volke etwas zu regen, was hier seit
Jahrhunderten geschlummert hatte: das Interesse an den überseeischen
Beziehungen, das Interesse am Besitz von Kolonien. Vorläufig wurde
die Aufmerksamkeit des deutschen Volkes durch Männer erregt, welche
nach dem politischen Aufschwunge der Jahre 1866 bis 1871 öffentlich