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mit den mir verwilligten Mitteln hätte auskommen können, ob ich mich dort
auch würde befriedigt gefühlt haben — und was der Kulturkampf über mich
gebracht hätte! Es ist gewiß besser für mich gewesen, daß ich meine Rudol-
städter Stellung nicht verlassen habe.
„Wenn ich auf mein öffentliches Leben zurückblicke, so muß ich mich als
durch Gottes Fügung ganz besonders bevorzugt erkennen, da mir zu teil geworden,
was im allgemeinen nur wenigen beschieden ist. Kaum hatte ich im Frühjahr
1846 das Examen als Assessor bestanden, so wurde ich im Polenprozeß verwendet
und noch sogar in ganz bevorzugter Weise (November 1846 und März 1848).
Dann durchlebte ich die Revolutionstage in Berlin. Im Juli 1850 ging ich
nach Eisenach, um die Staatsanwaltschaft bei einem hochangesehenen Gerichte
und in dessen Bezirke zu organisiren und das neue Verfahren mit einzuführen.
Dann trat ich an die Spitze der Verwaltung eines kleinen, aber souveränen
Landes und hatte dort die Aufgabe eines Organisators und besonders eines
Begründers eines guten Beamtenstandes. Darüber vergingen zehn und mehr
Jahre. Es gewann die deutsche Frage immer größere Bedeutung, es kam das
Drängen nach einer Reorganisation des Bundes, der Fürstenkongreß in Frank-
furt, Schleswig-Holstein, die Lösung des Bundes, der Krieg in Deutschland,
der Norddeutsche Bund, der Krieg gegen Frankreich, die Rekonstruktion des
Deutschen Reichs, der Kulturkampf, — und an allen diesen Ereignissen habe
ich auch, wenn auch in sehr bescheidenem Maße, als Minister und Vertreter
meiner Fürsten teilgenommen.
„Das hat mich dann auch mit vielen interessanten und bedeutenden Männern
in Beziehung gebracht. Mit meinen thüringischen Kollegen, von denen nunmehr
verschiedene schon abberufen sind, habe ich viele Jahre hindurch in der an-
genehmsten und freundschaftlichsten Verbindung gestanden. Ich nenne hier nochmals
die mir so lieben Namen v. Watzdorf, v. Seebach, v. Larisch, v. Gerstenberg,
v. Harbou, v. Krosigk.
„Im Laufe der Zeit bin ich natürlich auch mit fast allen Staatsmännern
Deutschlands in Berührung gekommen. Wir haben uns seit 1867 und 1870
in Berlin getroffen und haben zusammen gearbeitet und dinirt, 1878 und
1880 auch auf Konferenzen der Finanzminister in Heidelberg und Coburg.
Dabei muß ich natürlich auch des Fürsten Bismarck erwähnen, dessen Größe
und eminente Bedeutung für Preußen und Deutschland ich aus vollster Ueber-
zeugung anerkenne. Ich habe ihn vielfach als den Vorsitzenden des Bundesrats
und als Wirt in seinem Hause gesehen. Er ist stets freundlich gegen mich
gewesen, hat sich auch günstig über mich ausgesprochen. Ich habe aber nie
zu seinen unbedingten Verehrern gehört, habe nie die Annexion deutscher
Länder, die Depossedirung deutscher Fürsten, das Hinausdrängen Oesterreichs
aus Deutschland gebilligt, habe stets seine liberale Gesetzgebung beklagt und
seinen Kulturkampf verdammt. Selbstverständlich habe ich aber meine persön-