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in seiner Sitzung vom 18. April 1868 beschlossen: „den Bundeskanzler auf-
zufordern, Entwürfe eines gemeinsamen Strafrechts und eines gemeinsamen
Strafprozesses, sowie die dadurch bedingten Vorschriften der Gerichtsorganisation
baldthunlichst vorbereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen."
Dieser Beschluß fand im Ausschusse des Bundesrats für Justizwesen,
welchem derselbe zur Begutachtung überwiesen war, unbedingte Zustimmung und
Befürwortung. Man ging von der Auffassung aus, daß der Artikel 4 der Bundes-
verfassung, indem derselbe das materielle und formelle Strafrecht unter die Gegen-
stände der einheitlichen Bundesgesetzgebung aufnahm, nicht bloß eine fakultative
Kompetenz hinstellen, sondern es als eine wesentliche Aufgabe des Bundes bezeichnen
wollte, durch eine gemeinsame Gesetzgebung auf dem Gebiete des Strafrechtes
die Uebelstände zu beseitigen, welche aus der Verschiedenheit der in den einzelnen
Staaten geltenden Strafgesetzbücher und Strafprozeßordnungen entsprangen.
In Betreff der vorbereitenden Schritte empfahl der Ausschuß den Weg kom-
missarischer Beratung, welcher für die Zivilprozeßordnung eingeschlagen worden.
Doch fehlte es nach der Ansicht des Ausschusses für die Gesetzgebung auf dem
bezeichneten Gebiete an Entwürfen, welche einer kommissarischen Prüfung mit
Erfolg zu Grunde gelegt werden könnten. Es würde daher zunächst auf die
Ausarbeitung der erforderlichen Entwürfe Bedacht zu nehmen sein. Mit Rück-
sicht hierauf schlug der Iustizausschuß dem Bundesrat vor, den Bundeskanzler
zu ersuchen: „den Entwurf a) eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs und b) einer
gemeinsamen Strofprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes,
und zwar zunächst den Entwurf einer gemeinsamen Strafprozeßordnung aus-
arbeiten zu lassen und dem Bundesrat zur weiteren Beschlußnahme vorzulegen."
Der Bundesrat erhob diesen Antrag in der Plenarsitzung vom 5. Juni 1868
zum Beschlusse.
Beim Wiederbeginne der Session wurde dem Bundesrat eine Denkschrift
mitgeteilt, in welcher der mit Ausarbeitung eines gemeinsamen Strafgesetzbuches
für die Norddeutschen Bundesstaaten beauftragte preußische Justizminister über
die Lage und Richtung der bezüglichen Vorarbeiten Auskunft gab. Die Vorlage
des fertiggestellten Entwurfs zog sich bis in die Session 1870 hinaus.
Auslieferungsvertrag mit Belgien. Zwischen den einzelnen Staaten
des Norddeutschen Bundes und dem Königreich Belgien war die gegenseitige
Auslieferung flüchtiger Verbrecher durch Staatsverträge geregelt, denen ein
belgisches Gesetz vom 1. Oktober 1833 zu Grunde lag. Dieses Gesetz ge-
stattete die Auslieferung nur in einer sehr beschränkten Anzahl von Fällen.
Am 5. April 1868 erschien indessen in Belgien ein neues Gesetz über die
Auslieferungen, welches die engen Grenzen der bisherigen Legislative verlassen
hatte und die vertragsmäßige Regulirung der gegenseitigen Auslieferung für
33 Verbrechensfälle gestattete, sowie die Voraussetzungen und Formen erleichterte,