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Aus dieser Stimmung sind auch die Sintenisschen Briefe geschrieben,
die nunmehr im Auszug folgen sollen, und von denen ich vorausschicke, daß
sie insgesamt aus der neuen Reichshauptstadt Berlin datirt sind.
13. Dezember 1866.
Abstattung von Besuchen. Schreckliche Erinnerung an den Bundestag von
Frankfurt.
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14. Dezember 1866.
Diner bei dem Gesandten der thüringischen Staaten in Berlin, dem Grafen
Beust, woselbst unter anderen geladen waren: Geheimerat v. Savigny, v. Thile
vom auswärtigen Ministerium in Berlin und die Konferenzdelegirten v. Watz-
dorf, v. Seebach, v. Larisch und v. Bertrab. Aufzählung des reichen Menus.
„Alles das ließen sich die Diplomaten vortrefflich schmecken. Aber von unserer
Hauptaufgabe war nicht ein Wort zu erfahren trotz v. Savigny-Thile. Nichts
weiter äls: morgen, den 15., ist noch keine Eröffnung der Verhandlungen;
aber Se. Majestät der König wird uns empfangen. Dies wurde bei der Cigarre
ruchbar.
„Für heute habe ich nur so viel wahrgenommen, daß die Beschäftigung
hier länger dauern kann, als man denkt, und daß mir Savigny seinen Chef
Bismarck etwas zu kopiren scheint. Er bekümmert sich auffallend wenig um
uns kleine Europäer. Watzdorf scheint mir etwas ennuyirt und nicht gern
hier zu sein. Er spricht nur von dem Stimmverhältnis“. Freilich ein deli-
kater Punkt. Soll sich Preußen von uns möglicherweise überstimmen lassen?
und, wenn nicht — warum sind wir Bundesgenossen und hierher citirt?"
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15. Dezember 1866.
Betrachtungen über Berlin nach einer Besichtigung der um das königliche
Schloß gelegenen Prachtbauten. „Ja, es ist eine wahrhaft königliche Stadt,
dieses so viel verschrieene Berlin, dies verkündige ich; wie wenig ich auch geneigt
wäre, dort zu wohnen. Wer seiner Geburt, seinem Beruf nach darauf angewiesen
ist, von dem freilich begreife ich, daß er seinen Wohnsitz nicht wieder wird ver-
legen wollen. In mir steckt aber noch, nach Alexander v. Humboldts Erklärung,
ein stark Stück der angeborenen ursprünglichen Wildheit des menschlichen Ge—
schlechts, welche dieses von Zeit zu Zeit in die Einsamkeit treibt und darin
einen Genuß findet, den alle Kultur nicht zu gewähren vermag.
„Um 4¾ Uhr nachmittags ins Schloß gefahren, infolge einer Einladung
von beiden Majestäten zur Tafel. Trotz befohlener kleiner Uniform ——
nach hiesigem Begriff — hatten doch alle meine Kollegen die grand cordons
angelegt! Schadet nicht, Bismarck war ohne. Dieser erschien bald, aus des
Königs Zimmer heraustretend, uns zu bewillkommnen, wenige Minuten später
Seine Majestät. Letzterer hielt eine kurze Anrede an uns. Was schon öfter