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Individuum nicht als Unterthan eines der zum Norddeutschen Bunde gehörigen
Staaten angesehen werden konnte, hierüber eine Erklärung mit dem Hinzufügen
abzugeben hatte, daß von seiten der Bundesgesandtschaft Bedenken gegen die
Aufnahme der Extrahenten in den russischen Unterthanenverband nicht obwalteten.
Der Gesandte hielt es für wahrscheinlich, daß eine solche Erklärung von den
russischen Behörden einer förmlichen Entlassungsurkunde gleichgeachtet und somit
durch dieselbe den Beteiligten die Aufnahme in den russischen Unterthanen-
verband ermöglicht werden würde. Da es gleichmäßig im Interesse der Betei-
ligten wie der einzelnen Bundesstaaten lag, derartige Unklarheiten in Betreff
der Staatsangehörigkeit möglichst zu beseitigen, beantragte Bismarck im März 1869,
daß der Bundesrat sich mit dem obigen Vorschlage einverstanden erklären wolle.
Der Antrag fand die Zustimmung des Bundesrats.
Erwerbung und Verlust der Bundes= und Staatsangehörig-
keit. Einer Resolution des Reichstags entsprechend, legte der Bundeskanzler
gegen Ende des Jahres 1869 dem Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes vor,
welches, von einzelnen Zusätzen abgesehen, identisch war mit dem preußischen
Entwurfe eines Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft
als preußischer Unterthan sowie über den Eintritt in fremde Staatsdienste, und
zwar mit derjenigen Fassung des Entwurfs, welcher im Abgeordnetenhause zur
Annahme gelangt war.)
Der Ausschuß prüfte zunächst die Kompetenz= und die Bedürfnisfrage. Die
Kompetenzfrage wurde unbedingt bejaht; bezüglich des Bedürfnisses machten sich
Ansichten dahin geltend, daß ein Bedürfnis nach gleichmäßiger Gestaltung der
Indigenatsgesetzgebung für den Bund nicht in dem Maße wie für einen ein-
heitlichen Staat vorliege, daß es mit dem Wesen des Bundes an sich nicht
unvereinbar sei, in den einzelnen Bundesstaaten verschiedene Grundsätze über
Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit und der damit verbundenen Bundes-
angehörigkeit bestehen zu lassen. Es wurde hierbei auf die Bundesverfassung
der Schweiz hingewiesen. Man verkannte jedoch nicht, daß eine Gleichmäßigkeit
der Indigenatsgesetzgebung zweckmäßig und wünschenswert sei, weil sie die
Handhabung der Bundesgesetze erleichtert und Ungleichheiten vorbeugt, sowohl
was die Niederlassung, Verehelichung und den Gewerbebetrieb von Bundes-
angehörigen selbst, als was die Aufnahme von Ausländern betrifft. Durch
eine solche gleichmäßige Regelung trat der Bund zwischen das nordamerikanische
und schweizerische System. Er ging nicht so weit wie Nordamerika, wo ein selbst-
ständiges, von den einzelnen Staaten vollkommen unabhängiges Unionsbürgerrecht
sich entwickelt hatte und die Grundlage für die Ausübung aller politischen Rechte
auch in den Staaten bildete, aber er ging weiter als die Schweiz, indem er
*) Zu vgl. den Leitartikel in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ Nr. 306 vom
31. Dezember 1869.