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geradezu geleugnet; die für diese Angemessenheit geltend gemachten Gründe
behielten jedoch das Uebergewicht, selbst auf die Gefahr hin, daß mit der Ver—
kündung dieses Grundrechts eine Bahn betreten werde, die bei der Beratung der
Bundesverfassung von den verbündeten Regierungen bekämpft und absichtlich
gemieden worden war.
Im Plenum des Bundesrats gaben nur die beiden mecklenburgischen Re-
gierungen ihre Stimmen gegen den Entwurf ab; zur Motivirung des Votums
erklärten die mecklenburgischen Bevollmächtigten: „Durch die mecklenburgische
Gesetzgebung sind den Juden alle der Bundesverfassung und dem Freizügigkeits-
gesetze entsprechenden Rechte gewährt und lediglich diejenigen publizistischen Rechte
ausgenommen, welche geschäftlich und rechtlich durch das Bekenntnis der christ-
lichen Religion bedingt sind und auf deren Bewahrung die christliche Bevölkerung
einen wohlbegründeten Anspruch hat. Diese Rechte sind an und für sich nicht
notwendig in den Rechten des Grundeigentums oder in einem Gewerbebetriebe
enthalten, in Mecklenburg aber Teil der auf dem Boden des Christentums und
der Geschichte erwachsenen Institutionen und mit einer gewissen Art des Grund-
eigentums und mit den städtischen obrigkeitlichen Aemtern verbunden. Da nun
die mecklenburgischen Regierungen die in den ersten Abstimmungen des Reichs-
tags und bei Feststellung der Verfassung zur Anerkennung gelangten, auch im
Berichte des Ausschusses angedeuteten Bedenken gegen Einführung solcher grund-
rechtlichen Bestimmungen teilen, überdies Art. 4 Nr. 1 der Verfassung dem
Bunde zwar die Bestimmung zuweist, an welche Bedingungen der Erwerb des
Staatsbürgerrechts geknüpft werden dürfe, nicht aber wie in den einzelnen
Landes= und Gemeindeverfassungen die Fähigkeit zur Teilnahme an der Landes-
oder der Gemeindevertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter festzustellen
sei, so ist der Bevollmächtigte nicht in der Lage, die Kompetenz des Bundes
zur Regelung der in Frage stehenden bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
anzuerkennen.“
Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher
und staatsbürgerlicher Beziehung. Vom 3. Juli 1869 (B.-G.-Bl. S. 292.).5)
Niederlassungsvertrag mit der Schweiz. Die in der Schweiz
sich aufhaltenden Angehörigen des Norddeutschen Bundes unterlagen daselbst
Staats= und Gemeindeämtern ausgeschlossen, mit welchen die Ausübung einer richterlichen,
polizeilichen oder exekutiven Gewalt verbunden ist. In Reuß älterer Linie hatten nur die
Christen Recht auf Anstellung und freie Religionsübung. In Sachsen-Altenburg wurden
nur Christen in den Gemeindeverband ausgenommen. In Schwarzburg-Sondershausen
dursten nur Christen in die Gemeindebehörde gewählt werden.
*) Eine von dem Kaufmann Rieß in Gnoien (Mecklenburg-Schwerin) an den Bundesrat
gerichtete Beschwerde wegen eines von der dortigen jüdischen Synagogengemeinde ihm
abverlangten Einzugsgeldes wurde abgelehnt, weil das Gesetz über die Freizügigkeit vom
1. November 1867 auf das Verhältnis religiöser Gemeinden zu ihren Angehörigen keine
Anwendung finde.