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vorgesehen war und ein solcher Gerichtshof auch auf die Justizhoheit der einzelnen
Staaten einwirken sollte. Man wollte einen Gerichtshof mit beschränkter
Kompetenz schaffen zur Erreichung eines in der Bundesverfassung klar und be—
stimmt ausgesprochenen Zweckes. Dies war maßgebend für die Majorität des
Ausschusses. Man wies auch hin auf Artikel 75 der Verfassung, welcher bereits
dem Oberappellationsgericht in Lübeck bei Hoch= oder Landesverrat die Funktionen
eines Bundesgerichts beilegte; ferner auf das Bundesgesetz, das Konsulatswesen
betreffend, durch welches preußische Gerichtshöfe mit ähnlichen Funktionen betraut
worden waren. Die Minorität hielt den Bund nicht für kompetent und den
Gesetzentwurf über die durch die Bundesverfassung vorgezeichneten Grenzen
hinausgehend.
Darauf hin stellte ein Mitglied (Lübeck) den Antrag, sofort die Errichtung
eines gemeinsamen obersten Gerichtshofes zu beschließen mit dem
Zusatze, daß die Zuständigkeit desselben vorläufig auf Handelssachen beschränkt
bleibe. Nachdem die Majorität des Ausschusses bei der Diskussion der Kompetenz-
frage ausdrücklich anerkannt hatte, daß die Errichtung eines gemeinsamen
obersten Gerichtshofes, also die Uebertragung der Justizhoheit auf den Bund
zur Kompetenz der Bundesgewalt gehöre, konnte die Ablehnung dieses lübeckschen,
über den sächsischen hinausgehenden Antrages nur aus Opportunitätsgründen
motivirt werden. Das ist in der That geschehen. Im Ausschuß war es also
nicht gelungen, für die vorhandenen scharfen Gegensätze einen Ausgleich zu
finden.
Im Plenum des Bundesrats entspann sich ein neuer Kampf. Die Be-
vollmächtigten für Hessen, Mecklenburg und Hamburg erblickten in der Vorlage
ein Hinausgehen über die Verfassung und erklärten deshalb zur Annahme der-
selben eine Mehrzahl von zwei Dritteln der vertretenen Stimmen für erforderlich.
Nachdem der § 1 des Gesetzentwurfs mit 37 Stimmen angenommen war,
fand der Bevollmächtigte für Mecklenburg seine Verwahrung in Betreff eines
verfassungsmäßigen Beschlusses erledigt, motivirte aber sein dissentirendes Votum
noch ausdrücklich dahin, daß die Gründung eines obersten Gerichtshofes für
Handelssachen überhaupt der Stellung der höchsten Gerichte in den Einzel-
staaten Eintrag thue und einen Schritt zur völligen Absorbirung der den
Einzelstaaten zustehenden Selbständigkeit auf dem Gebiete der Rechtspflege in
sich schließe. Der großherzoglich sächsische Bevollmächtigte erkannte in der Vor-
lage einen wesentlichen Fortschritt zu Gunsten der einheitlichen Rechtsprechung,
bezeichnete jedoch die Maßregel als verfrüht bei dem dermaligen Stande der
Bundesverhältnisse, namentlich vor Einführung der neuen Zivilprozeßordnung.
Von Bremen war beantragt, die Beschlußnahme über die Vorlage bis nach
Ausarbeitung der neuen Zivilprozeßordnung auszusetzen, eventuell die Ange-
legenheit zur Begutachtung an die Kommission für die Zivilprozeßordnung zu
verweisen. Ein Antrag Hessens ging gleichfalls dahin, die Ausführung der Maß-