— 280 —
lichen Auffassung der Anspruch auf Vertretung der Landwirtschaft im Bundes-
rat und namentlich in dem des Zollvereins ein begründeter ist.
Ich erlaube mir, hinzuzufügen, daß ich meine Bemühungen, diesem An-
spruche die amtliche Anerkennung und Erfüllung zu gewinnen, bereits begonnen
habe, und bitte Sie, dem landwirtschaftlichen Kongresse hiervon Mitteilung zu
machen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung bin ich Ew. Hochwohlgeboren ergebenster
v. Bismarck.
Dem Verlangen des landwirtschaftlichen Kongresses wurde sehr rasch Folge
gegeben. Schon in der Sitzung des Bundesrats vom 5. März machte Graf
Bismarck die Mitteilung, daß der Vorsitzende des Landesökonomie-Kollegiums,
Geheimer Regierungsrat Dr. v. Nathusius, zum preußischen Bevollmächtigten
für den Bundesrat ernannt worden sei. Da für sämtliche 17 Stimmen
Preußens im Bundesrat Vertreter bestellt waren, so hatte durch die Abberufung
des Geheimen Ober-Finanzrats Wollny ein Platz für diese landwirtschaftliche
Vertretung geöffnet werden müssen.
Ueber die Persönlichkeit der neuen Mitglieder des Bundesrats und ihr
Verhältnis zu Bismarck ist Nachstehendes zu bemerken:
1. Preußen.
Justizminister Dr. Leonhardt')
(geboren 6. Juni 1815, gestorben 7. Mai 1880).
Mit der Wahl Leonhardts an Lippes Stelle konnte Bismarck wohl zu-
frieden sein; er schuf ihm die deutsche Justizeinheit, den „Eckstein der nationalen
Einheit“". Den Details der Leonhardtschen Justizreform gegenüber hat sich
Bismarck ähnlich verhalten wie den wirtschaftlichen Angelegenheiten gegenüber
zu Delbrücks Zeiten, das heißt, er kümmerte sich nicht um die Einzelheiten und
glaubte seiner Verantwortung vollkommen zu entsprechen, wenn er dafür ge-
sorgt hatte, daß ein tüchtiger Fachminister vorhanden war. Nur in den
Differenzpunkten, die seinerzeit den Kampf zwischen Parlament und Bundesrat
entflammten und die wichtigen Prinzipien der Strafprozeßordnung betrafen,
wurde auch Bismarck zu einer Stellungnahme gedrängt.“*“) Er hielt an den
Forderungen des Bundesrats auf die Gefahr hin fest, das nationale Werk,
das ihm am meisten am Herzen lag, scheitern zu sehen. Das übrige hatte er
passiren lassen und am wenigsten die Zivilprozeßordnung sich vorher darauf
*) Das Nähere über seinen Entwicklungsgang findet man in der „Allgemeinen Bio-
graphie“ Bd. XVIII S. 301, Nekrolog in „Unsere Zeit“ Leipzig 1880 Bd. II S. 137,
Nachruf im Justizministerialblatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege Nr. 22
vom 28. Mai 1880, „Unsere Minister seit 1862“ S. 71—79.
**) Vgl. mein Werk: „Fürst Bismarck und die Parlamentarier“, Bd. II S. 209 f.