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Schon 1884 hatte Stephan dem Fürsten Bismarck eine Denkschrift vor-
gelegt zur Begründung der Notwendigkeit, für längere Jahre Mittel zu erhalten,
um nach dem Vorgang anderer Staaten einheimische Rhedereien durch Gewährung
jährlicher Beihilfen zur Einrichtung und Unterhaltung deutscher Postdampfer-
linien nach Ostasien und Australien zu veranlassen. Das Ergebnis der Anträge
des Staatssekretärs, die von dem Reichskanzler und von den verbündeten Re-
gierungen sowie namentlich im Staatsrat durch den Kronprinzen warm befür-
wortet wurden, war eine Vorlage beim Reichstag, worin für 15 Jahre jährlich
4 Millionen Mark für den gedachten Zweck verlangt wurden. Diese Vorlage,
als deren „Pflegevater“ Fürst Bismarck in seiner für die Entwicklung unserer
Kolonialpolitik hochbedeutsamen Rede vom 26. Juni 1884 Stephan bezeichnete,
wurde nach wechselvollen parlamentarischen Schicksalen am 6. April 1885 zum
Gesetz.
So sehr Bismarck auch Stephan schätzte.) so darf man doch nicht glauben,
daß er ihm die Zügel vollständig schießen ließ. In einer Reihe von Maß-
regeln von prinzipieller Bedeutung hatte sich Stephan naturgemäß des Einver-
ständnisses seines Vorgesetzten, des Reichskanzlers, zu vergewissern. Stephan
kannte wohl den Satz, daß man mit dem lieben Herrgott besser direkt verhandelt
als mit seinen Engeln. Deshalb suchte er womöglich über alle Punkte, in
denen er sich der Zustimmung respektive des Einverständnisses Bismarcks zu
vergewissern hatte, mit diesem persönlich zu verhandeln, sei es, daß er selbst
um Audienz beim Kanzler bat, oder seine Eingabe direkt in seinem Bureau
abgab. Stephan, der ein Heer von ca. 100 000 Beamten unter sich hat,
wollte sich wohl dem Kanzler fügen, aber nicht gerne von den übrigen Staats-
sekretären sich das Konzept korrigiren lassen. Nun ist aber bei vielen Maß-
regeln seines Ressorts das Finanzinteresse des Reiches ganz eminent beteiligt,
so daß eine Mitwirkung des Reichsschatzamts respektive ein vorgängiges Benehmen
mit der letztgenannten Behörde sich gar nicht umgehen läßt. Stephan hätte am
liebsten auch in solchen Fragen die Sache direkt mit dem Kanzler abgemacht.
Der letztere schrieb aber auf die betreffenden Piecen regelmäßig: „Reichsschatz-
amt hören.“ Später fügte sich Stephan der Notwendigkeit und richtete seine
*) In der Reichstagssitzung vom 21. Februar 1879 bemerkte Bismarck, er sei nicht
mit allen Einrichtungen der Post persönlich einverstanden; „da ich aber die Ueberzeugung
habe, daß der Generalpostmeister im großen und ganzen vollständig seiner Sache mächtig
ist, und sie jedenfalls besser versteht als ich, so folge ich seinen Wünschen und Anträgen,
und würde es ziemlich verwunderlich finden, wenn ich dermaleinst an meiner sormalen
Verantwortlichkeit dafür angefaßt werden sollte, daß diese oder jene Posteinrichtung nicht
nach meiner eigenen Ueberzeugung sich bewährt hat und ich sie anders wünschte, als ich
damals zugestimmt hätte, daß sie sein sollte.“ Ein Erlaß Bismarcks an Stephan (Dank
für die Leistungen der Post= und Telegraphenbeamten aus Anlaß seines 70. Geburtstags)
findet sich abgedruckt in der „National-Zeitung“ Nr. 160 vom 7. April 1885.